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ATELIER BRÜCKNER

Wagenhallen Stuttgart

Wagenhallen Stuttgart. Eingang Kulturbetrieb, Foto: Daniel Stauch
Wagenhallen Stuttgart. Eingang Kulturbetrieb, Foto: Daniel Stauch
Ort
Stuttgart
Gebäudekategorie
Gemeinde-, Kulturzentren, Mehrzweckhallen
Bauvorhaben
Umbau
Jahr der Fertigstellung
2020
Material Fassade
Mauerwerk
Die Wagenhallen, 1895 als Lokomotiv-Remise errichtet, sind geprägt von verschiedenen Bauzeiten, Umbauten und Kriegszerstörung. Bis 2003 wurden sie von der Deutschen Bahn für Reparatur- und Wartungsarbeiten betrieben. Nach dem Kauf durch die Stadt Stuttgart kam es zu einer einvernehmlichen Übernahme durch Kulturschaffende, die sich hier über die Jahre einen kreativen Freiraum aufbauten. Nach ihrer Ertüchtigung haben die Hallen als Ort für Konzerte und Veranstaltungen den Charme der Off-Location beibehalten, nun jedoch mit ungleich größeren Möglichkeiten. Die ursprünglichen Nutzer, ein Veranstaltungsbetrieb für bis zu 2100 Gäste, ein Kunstverein mit 100 Mitgliedern sowie eine Tangoschule sind nach dem Umbau wieder in die Hallen eingezogen.  Die Umgebung der Hallen wird im Zuge der Umstrukturierungen von Stuttgart 21 in absehbarer Zeit bebaut werden. Durch den Umbau sind die Wagenhallen zu einem permanenten kulturellen Ort in Stuttgart geworden und bilden den Nukleus dieses zukünftigen Stadtquartiers.  Die Gestaltungsidee und Raumkonzeption der Sanierung sind aus der ursprünglichen Nutzung des ehemaligen Lokschuppens abgeleitet: Die originäre Gestalt wird aus dem aktuellen Bestand herausgeschält, die Originalsubstanz behutsam restauriert und historische Spuren freigelegt. Die lebendigen Oberflächen bleiben erhalten, verschiedene Zeitschichten sind ablesbar gemacht: Der Bestandsbau besteht aus rotem und ockerfarbenem Klinker sowie Sandstein. Schadstellen werden in der originalen Materialität wiederhergestellt und – wenn bautechnisch erforderlich – geschlemmt. Gebäudeteile, die rekonstruiert werden, greifen die Farbgebung in farbentsättigter, übersetzter Form als hell- und dunkelgraue Klinker bzw. in sand- gestrahltem Beton auf. Die ereignisreiche Geschichte des Gebäudes und die Eingriffe werden als weitere Zeitschicht in der 120-jährigen Geschichte erlebbar.  Das Gebäude erschließt sich nun über zwei gleichwertige, seitliche Eingänge. Auf der Ostseite ist durch den Rückbau des maroden Büroflügels aus den 30er Jahren ein einladender Platz entstanden. Er wird gerahmt vom nördlichen Hallenflügel, der auf seine ursprüngliche Höhe aufgestockt wurde, der Ostfassade der Hallen sowie einem zweigeschossigen Atelier-Neubau. Dieser greift die Struktur der Wagenhallen auf und rückt respektvoll vom historischen Bestand ab. Mit dem Einsatz von gebrauchtem Klinker verweist er auf die Arbeitsweise der Künstler, die mit vorgefundenen Materialien des nahe gelegenen Recycling-Unternehmens arbeiten.  Im Inneren ist das Raumbild der bis zu 10 Meter hohen Hallen geprägt von Stahlstützen und rhythmisierenden Oberlichtern. Diese sind nach historischem Vorbild rekonstruiert und tragen zugleich der neuen Nutzung Rechnung.  


Mit Hilfe von flexiblen Trennwänden lässt sich die Fläche des Kulturbetriebs in bis zu vier kleinere Räume aufteilen. Atelierräume für die Künstler werden in Form von eingestellten Kuben realisiert. Dadurch bleibt der authentische Raumeindruck der Hallen erhalten. Sowohl die ehemalige als auch die heutige Nutzung der Wagenhallen wird bereits im Außenraum sichtbar und die Lokomotiv-Remise gestalterisch und funktional in ihrer ursprünglichen Form als dynamisches und lebendiges Gebäude erneut erfahrbar. Aufgrund der langen Nutzung als Kalthalle, Korrosionsschäden, Kriegsschäden und vielfachen Umbauten mussten Stahltragwerk und Dach funktional ertüchtigt werden.  Zentrale Maßnahmen sind die behutsame Reparatur beziehungsweise der Austausch beschädigter Stahlbauteile durch baugleiche Elemente sowie der Austausch der unhistorischen Dachhaut durch leichtere, dämmende Materialien. Auf Grund der wärmetechnisch ertüchtigten Dachfläche, des Austausches der alten bzw. der Aufdoppelung der historischen Türen und Fenster, der dicken Ziegelmauern und der nahe gelegenen Fernwärmeleitung konnte bei dem über 120 Jahre alten Gebäude die aktuelle EnEV eingehalten werden.  Trotz der sehr hohen schallschutztechnischen und gebäudetechnischen Anforderungen für Veranstaltungen und der damit verbundenen zusätzlichen Lasten konnte das Tragwerk und der ursprüngliche industrielle Charakter der Wagenhallen erhalten werden.  Im Zuge der Baumaßnahme wurde der Gebäudekomplex als ehemaliges Bahngelände zum ersten Mal in seiner Geschichte baurechtlich bei der Stadt Stuttgart eingereicht. Auch dies stellte die Planung vor besondere Herausforderungen und erforderte eine sehr enge Abstimmung mit allen Baubeteiligten. In der kurzen Bauzeit verlief der Planungs- und Bauprozess in positiver und offener Zusammenarbeit, was beträchtlich zum Erfolg des Projektes beigetragen hat.