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HELGA BLOCKSDORF/ARCHITEKTUR

Haus Wald // Der unerwartete Raum

© Simon Menges
© Simon Menges
Ort
Brandenburg
Gebäudekategorie
Einfamilien-, Reihen-, Wochenendhäuser
Bauvorhaben
Neubau
Jahr der Fertigstellung
2021
Material Fassade
Putz
„Das entstehende Werk ist Allegorie auf das antizipierte Leben, das fertige Werk auf das gelebte Leben, als Strategie des faktischen Überlebens. Der Krieg ist eine inhumane Form einer Überlebensfantasie auf Kosten des Anderen. Die Kunst ist eine humane Form der Überlebensfantasie. Der Unterschied ist der Grad der Abstraktion. Die Abstraktion in der Kunst ist die Rettung vor dem Leben. Dies hat nichts mit abstrakter Kunst zu tun. Kunst ist immer abstrakt.“1

Unerklärlich, jedoch mit der Vorstellung eines Lebens im Einfamilienhaus schiebt sich ein melancholisches Bild des Lebens im Zeitraffer in das Bewusstsein. Aus dieser Stimmung heraus verkörpert in einer Nachbarschaft unendlicher Einfamilienhäuser am Rande von Berlin2 der Kiefernwald, in welchem diese Bauten stehen, den kleinsten gemeinsamen Nenner mit der größten räumlichen Qualität. Diese Interpretation der besonderen Landschaft von Waldesruh, bildhaft im Objekt des Baumes abstrahiert, stiftet den Anlass für eine sich von Zeit zu Zeit selbst hinterfragende Idee des Wohnens am gewachsenen und wachsenden Stadtrand. Das Familienleben vornehmlich draußen stellt Auftakt und Motiv gleichermaßen. Allgemeingültige Attribute des Einfamilienhauses, wie das Vordach, die Terrasse mit dem großen Terrassenfenster, mind. 6m Küchenzeile, Küchenblock, ein Gäste-WC, der Esstisch, die Sofaecke, die Treppe nach oben zu großen privaten Schlafund Arbeitsräumen und ein Gästezimmer, transformieren sich in unerwartete räumliche Situationen, wenn sich das Wohnen um einen Baum herum baut. Als einziger gestischer Übertrag zwingt eine Rundung im Haus das Vokabular des Wohnens in einen neuen Satzbau.

Die Schuhbank im überdeckten Eingangsbereich steht einladend den Ankommenden bereit, denn es geht nicht darum, das Alltägliche an sich zu negieren. Die Betonung liegt eher darauf, die Dinge, die es ohnehin im Leben braucht, so anzuordnen, dass etwas Größeres als die Addition der einzelnen Teile entsteht. So dient das raumhaltige Blumenfenster zur anderen Seite des Eingangs als Filterzone und zur Belüftung des Gäste-WC´s, hier ausgebildet als Blumendusche, welche sich im offenen Grundriss des Erdgeschosses sichtbar zurückhält. Denn das gemeinsame Wohnen zwischen Küche, Spielbereich, Sofa und Terrasse ist durch eine einzige Setzung zoniert. Eine massive Wand mit Treppe schwingt sich dicht nach dem Eintreten in das Haus spürbar rund, vom Himmel belichtet über alle Geschosse hinweg ein.

Der Wunsch des Malers und Stifters3 , die Gemälde der Familie aus dem Archiv im Wohnraum immer wieder neu anzuordnen und auszustellen, stellt diese Treppe als Weg entlang der runden Wand gleichsam mit aus - wie ein Bild, eine Treppe herauf- und herabsteigend. Dabei oszilliert diese Treppe bewusst zwischen ihrem Dasein als roher Antritt, Überbleibsel der Baustelle, überhohe Stahlbetonwand als taktile Firnis, Transferund Zwischenraum, sowie als Körper und Möbel im großen Wohnraum. Dies versteht sich als ein Angebot einer mehrdeutigen Lesbarkeit für das Erleben innerhalb eines eindeutigen Alltags. Der Bilderschlitz (3,10 x 0,20m) zum Wohnbereich hin ermöglicht das leichte Ein- und Ausgeben der großformatigen Malerei in das gemeinsame Sein.

Wenn die Treppe die Rundung des Terrassenausschnittes um Kiefer herum mit in das Haus trägt und als ein Schwung die Räume in ihrer Verfasstheit als Rechtecke untergräbt, so führt dies im Obergeschoss zu einem unerlaubten Detail, abgeleitet von einer räumlichen Entscheidung. Die Verschiebung der Trennwände auf die Achsen der Öffnungsflügel ermöglicht trotz opulenter Verglasungen im ganzen Haus (2,20 x 3,45m) Ausblicke in je zwei Himmelsrichtungen pro Zimmer. Dieser wohnliche Luxus erzeugt eine baukonstruktive Herausforderung im Trennwandanschluss an die Fenster. Er spitzt sich genau an der Stelle zu, an welcher die halbrunde Treppenhauswand in eine Wohnraumwand hineinläuft und beide zusammen auf das Bad- und Wohnraumfenster in seiner Teilung treffen. Der enge Treppenraum von 91cm Laufbreite, 13cm Auge und 87cm Gang weiten sich hier um eine Armeslänge ins Nichts auf. In diesem unerwarteten Raum versammeln sich die einfachen und die doppelflügeligen Türen zu den privaten Räumen wie Akteure auf offener Bühne und verneigen sich vor der Hauptdarstellerin in diesem Stück, einer gebogenen Holztür in der halbrunden massiven Wand.

Konstruktiv gilt möglicherweise der grundsätzliche Entscheid für ein Stahlbetonskelett, ausgefacht mit mineralisch dämmendem Stein, als „unrein“. Andererseits bieten die kalkverputzten Ziegelflächen der Außenwand und die massiven Trennwände aus Kalksandstein innen bauphysikalisch wirksame Massen. Sie ziehen sich innen wie außen wahrnehmbar durch den Verputz ohne Anstrich als Rohmaterial zusammen. Primäre Teile des Skeletts wie die 30cm starke Attika und der 20cm hohe Sockel verbinden Haus und Terrasse als eine bewegliche Linie unter dem Dach der sich im Wind wiegenden und nach Harz duftenden Stämme von Waldesruh.

1 Adolf Krischanitz, Architektur ist der Unterschied zwischen Architektur, Hatje Cantz, Ostfildern, 2010, S.76)
2 Waldesruh in Brandenburg ist der östliche Ausläufer an der Grenze von Berlin-Biesdorf, BerlinKausldorf und Berlin-Mahlsdorf, welches Deutschlands größtes zusammenhängendes Gebiet aus Ein- und Zweifamilienhäusern bildet.
3 Hans-Jürgen Diehl, deutscher Maler des Neuen Realismus, Professor für Malerei an der Universität der Künste Berlin.

Team
Samuel Barckhausen, Katharina Diehl, Arne Maxim Koll

Bauleitung
Shivani Shankar Chakraborty
Architektin MSc ETH
Kohlfurter Straße 6
10999 Berlin

Tragwerksplanung
Pichler Ingenieure GmbH
Alt-Moabit 62-63
10555 Berlin

Geothermie
Aquathermic
Bohrgesellschaft mbH
Prötzeler Straße 14a
15344 Strausberg

Bauphase
2019/21

Größe
380 m2 BGF, davon 120m2 Keller/Archiv, 120 m2 EG, 140 m2 OG
zzgl. 80 m2 Terrasse und 50 m2 Garage

"The work that emerges is an allegory of the life to come, the finished work of the life lived, as the strategy of de facto survival. War is an inhuman form of a survival fantasy at the expense of someone else. Art is a human form of the survival fantasy. The difference is the degree of abstraction. The abstraction in art is the rescue from life. This has nothing to do with abstract art. Art is always abstract."