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LRO

Erweiterung der Württembergischen Landesbibliothek Stuttgart

Brigida Gonzalez
Brigida Gonzalez
Ort
Stuttgart
Gebäudekategorie
Bibliotheken, Archive
Bauvorhaben
Neubau
Jahr der Fertigstellung
2020
Material Fassade
Beton
Architektenpreis
Auszeichnung Architekturpreis Beton 2020
Der Bau der Landesbibliothek in Stuttgart zählt zu den herausragenden Architekturleistungen der 60er Jahre in Süddeutschland. Das Bauwerk besticht durch seine großzügigen Raumfolgen ebenso wie durch die sorgsame Materialwahl und hohe Qualität der baulichen Umsetzung.

Mit der städtebaulichen Position reagierten die damaligen Architekten zunächst auf die durch den Verkehr vorgegebene Verkehrsachse. Der räumlichen Idee dieser Straße lag die Vorstellung der Moderne zugrunde, frei stehende Baukörper in einem räumlichen Spannungsfeld zueinander stellen zu wollen. Das Konzept stellte die historische Situation des historischen Straßenraums quasi auf den Kopf. Betrachtet man die frühere Neckarstraße auf Fotos und Plänen der Vorkriegszeit, so erkennt man den beidseitig von repräsentativer Architektur gesäumten Straßenraum, dessen Vorzüge wir heute wieder schätzen gelernt haben. Der Verlust dieses zwar nicht üppigen, aber dennoch respektablen Boulevards wird deutlich, wenn man versucht ist, als Fußgänger die Konrad-Adenauer Straße entlang zu gehen.

Trotz aller Begeisterung für die Taten der Moderne, auch für den Versuch, die Autoströme durch breite Spuren und Untertunnelungen flotter zu gestalten, was in den sechziger Jahren als Zeugnis des Fortschritts gutgeheißen wurde, zeigte sich niemand so richtig begeistert beim Anblick der städtebaulichen Situation. Der freien Fahrt im Auto stand nun die Gängelung des Fußgängers gegenüber: die Straße konnte nur an einigen Stellen durch unwirtlich empfundene Löcher, oder über Stege überwunden werden.

Was hat das alles mit der Landesbibliothek zu tun? Nun, durch den Ausbau der Straße ist die Bibliothek in einen anderen Teil der Stadt gewandert und, im Gegensatz zur Situation bis nach dem Krieg, gefühlsmäßig nicht mehr Teil der innersten Stadt. Damals standen sich Bibliothek und Hohe Karlsschule direkt gegenüber. Die räumliche Beziehung machte historisch, wie symbolisch einen Sinn. Heute stehen die Gebäude ohne weitere Beziehung zueinander: die bescheidene Rückseite des Schlosses, die nie als Schaufassade gedacht war und der sich selbst genügende, aber schöne Bau der Bibliothek aus den sechziger Jahren.

Mit dem Wettbewerb zur Erweiterung der Landesbibliothek stellte sich also nicht nur die Frage, wie der Altbau funktionell und räumlich geschickt erweitert werden könnte, sondern auch die der Verbesserung der stadträumlichen Situation. Kann also mit einem neuen Baukörper ein Raum entstehen, der ohne Rückgriff auf alte Bauschemata Teil eines zukünftigen Boulevards sein kann?

Der Ausgangspunkt der Überlegungen bestand deshalb auf der einen Seite in der Setzung des Baukörpers direkt an der Konrad-Adenauer-Straße, um diesem Raum wieder eine Fassung zu geben. Auf der anderen Seite sollte der Eingriff in den Altbau bis auf einen Anschluss einer Brücke im ersten Obergeschoss minimiert werden.

Der Erweiterungsbau besetzt nun unmittelbar die Ecke von Ulrichstraße und Konrad-Adenauer-Straße. Das Trottoir, das beginnend mit der Baumallee an der Staatsgalerie seither vor der Ulrichstraße endet, wird bis zum Staatsarchiv und hoffentlich zu einem späteren Zeitpunkt einmal bis zum Charlottenplatz fortgeführt. Der Baukörper, der in etwa die Firsthöhe des Wilhelmspalais aufnimmt, ist in einer Distanz zum Altbau gesetzt, um zwischen beiden Gebäuden einen Weg zu führen, der die Urbanstraße mit dem unteren Niveau des Baukomplexes ermöglicht. Durch den Neubau der Tiefgarage entsteht ein großzügiger Platz auf dem Niveau der seitherigen Eingangsebene, die auf der anderen Seite vom Staatsarchiv flankiert wird. Stadträumlich wird nun durch den Kubus des alten Lesesaals, der jetzt die Mitte des neuen Platzes einnimmt, eine Beziehung zum Mittelrisalit des Neuen Schlosses erreicht. Eine großzügige Treppenanlage stellt die Verbindung zum neuen Bürgersteig auf Straßenebene her.

Das Gebäude kann nun auf beiden Ebenen erreicht werden. Die untere Ebene beherbergt zusätzlich die zukünftige Cafeteria, die sich zur Straße hin öffnet und unabhängig vom Bibliotheksbetrieb geöffnet sein kann. Der Haupteingang für die Bibliothek liegt auf der Ebene darüber. Von dort aus erreicht man das Foyer mit den notwendigen Tresen für Information, den Zugängen in den gesicherten Bereich, der Buchrückgabe und einem Saal- und Ausstellungsbereich, der sich zur Konrad-Adenauer-Straße hin öffnet. Dort ist die Raumhöhe teilweise doppelgeschossig, da aus ökonomischen Gründen die lichte Höhe der Normalgeschosse wesentlich geringer ist.

Im ersten Obergeschoss, das über eine Treppe im gesicherten Bereich zugänglich ist, ist unmittelbar am Ende der Treppe die Verbindung zum Altbau angelegt. Der mittlere Bereich des Grundrisses ist mit Regalen belegt. Entlang der beiden Längsseiten reihen sich zum Saal hin offene Arbeitsplätze, auf der anderen Seite liegen zusätzliche Verwaltungsräume. Diese Ebene ist durch einen Luftraum mit den weiteren drei darüber liegenden Geschossen sichtbar verbunden. Im zweiten und dritten Obergeschoss liegen die Leseplätze entlang den gefächerten Außenfassaden. Das Dachgeschoss ist dagegen umgekehrt organisiert: Dort sind die Leseplätze in der Mitte des Grundrisses geplant, da wir auf dieser Ebene über die gefaltete Dachkonstruktion Tageslicht in das Zentrum des Hauses lenken können.

Auf den ersten Blick tritt der Neubau als eigenständiger Baukörper in Erscheinung. Dass er eine Erweiterung des Altbaus darstellt, wird durch die Materialwahl deutlich, geprägt durch den Sichtbeton in feiner Bretterschalung im neuen Bauteil fortsetzen. Bei der Fassade wurde dabei für den Beton Weißzement und eine Pigmentierung mit Titandioxid eingesetzt, um eine helle Färbung zu erzielen. Die Sichtbetonfassade ist als Ortbetonschale mit einer Kerndämmung vor die tragenden Betonwände gehängt. Die Schalung wurde aus sägerauen Brettern, deren Maße vom Bestand vorgegeben wurden, mit geordnetem Stoß- und Nagelbild handwerklich auf einer Trägerschalung hergestellt und mit Zementschlämme vorgealtert. Die Ausführung erfolgte durch die Infrastrukturabteilung der Firma Max Bögl, die durch den Brückenbau über große Erfahrung bei dem Bau von brettgeschaltem Sichtbeton verfügt.
Die Kupferverkleidung des alten Lesesaals findet in den geschlossenen Wandfeldern der gefächerten Fassaden im 2. und 3. Obergeschoss ihre Entsprechung. Das Dach des Erweiterungsbaus ist wie der Bestand ebenfalls mit Kupfer gedeckt.

Im Inneren des Gebäudes wurde aus Kostengründen auf die helle Einfärbung des Betons verzichtet. Besondere Herausforderung war die Betonage der Sichtbetontreppe im Bibliotheksbereich und der weitspannenden Träger des nach Norden verglasten Sheddachs im 4. Obergeschoss. Auch hier erfolgte die Schalung handwerklich mit sägerauen Brettern auf Trägerschalung. Auf Matrizen mit wiederkehrenden Schalbildern wurde im gesamten Gebäude verzichtet. So ist die Anstrengung und die Kunstfertigkeit der Schalungsbauer in der Qualität des Sichtbetons ebenso sichtbar wie die Wetterbedingungen zum Zeitpunkt der Betonage. Den rauen und lebendigen Sichtbetonoberflächen sind die weißen, glatten Oberflächen von Abhangdecken und Holzverkleidung gegenübergestellt. Hellgrüner Teppichboden und weiße Möblierung erzeugen eine helle, heitere Atmosphäre, die im Gegensatz zu den gedeckten Farbtönen des Bestandes steht.