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WANDEL LORCH GÖTZE WACH

Hotel Silber

Lern- und Gedenkort
Vermögen und Bau BW – Simon Sommer
Vermögen und Bau BW – Simon Sommer
Ort
Stuttgart
Gebäudekategorie
Museen, Galerien
Bauvorhaben
Umbau
Jahr der Fertigstellung
2018
Material Fassade
Naturstein
Das ehemalige „Hotel Silber“ in der Dorotheenstraße in Stuttgart ist ein historischer Ort. Ein Ort des organisierten NS-Terrors und mehr als ein halbes Jahrhundert lang, in mehreren politischen Systemen – ein Ort der Polizei.
Mitte des 19. Jahrhundert als Gasthaus und Hotel erbaut, wird es nach dem 1. Weltkrieg als Verwaltungsgebäude genutzt. 1903 gründet sich hier die Deutsche Motorradfahrer-Vereinigung als Vorgänger des heutigen ADAC. Ab 1928 ist das Gebäude Sitz des Polizeipräsidiums und wird in der weiteren Folge schließlich zum Hauptquartier der Geheimen Staatspolizei Gestapo für Württemberg und Hohenzollern. Durch einen Luftangriff 1944 teilweise zerstört wird es in den Nachkriegsjahren wiederaufgebaut und bis weit in die 1980er Jahre zur Unterbringung für Teile der Stuttgarter Polizei genutzt. Dank des großen Einsatzes einer bürgerschaftlichen Initiative werden im Jahr 2011 der Erhalt des Gebäudes und die Errichtung eines Gedenkortes beschlossen.

Das Gebäude in unmittelbarer Nachbarschaft zum ehemaligen Waisenhaus und dem modernen Dorotheenquartier behauptet sich heute durch seine angemessene Präsenz im Stadtraum.
Zur Adressbildung und Sichtbarmachung der neuen Nutzung als Erinnerungsort sind in einige Fensteröffnungen Begriffe auf Werksteintafeln eingeschrieben, die erahnen lassen, was sich im Inneren des Gebäudes einst abspielte. Diese Elemente sorgen nach Außen für eine dem Inhalt entsprechende Hermetik und bringen transluzent diffuses Licht in die Ausstellung im Innenraum.
Anstelle des verlorenen Eckturmes verdeutlicht eine abstrahierte Nachbildung des Erkers als bedrucktes Zeichen die neue Nutzung und schwebt über dem wiederhergestellten Haupteingang des einstigen Restaurants. Als Schnittstelle zur Öffentlichkeit gelangt man hier auf direktem Wege in den „Wechselraum“- früher Frühstücksraum und Restaurant des Hotels - der im alltäglichen Betrieb großzügiges Foyer mit Ticketing ist. In seiner zweiten Funktion ist der „Wechselraum“ ein Veranstaltungsort für Vorträge, Podiumsdiskussionen und andere Formate, zwei ergänzende Seminarräume im Erdgeschoss dienen der Wissensvermittlung. Die Servicebereiche liegen im Untergeschoss, wo auch die ehemaligen Verwahrzellen noch zu sehen sind und einen Eindruck der ursprünglichen Enge der Zellenräume geben.   

Die Dauerausstellung befindet sich im ersten Obergeschoss des Gebäudes. Hier wird die Geschichte des Hauses in ihren Kontinuitäten und Brüchen verdeutlicht. Unter Beibehaltung der räumlichen Struktur der Zellenbü¬ros, leitet der Rundgang durch die Ausstellung und beschäftigt sich mit dem Selbstverständnis der Polizisten in Demokratie und Diktatur, setzt sich mit Tätern und Opfern auseinander und beleuchtet die Strukturen, die den bürokratisch organisierten Staatsterror ermöglichten.
Das zweite Obergeschoss wurde weitgehend ausgeräumt, um hier eine große Fläche für Wechselausstellungen zu schaffen.

Die Ausstellung gliedert sich in drei inhaltliche Ebenen.
Die erste Ebene beschreibt über einen begleitenden Institutionenstrahl an der Wand die chronologische Entwicklung der In¬stitution. Tischvitrinen in den einzelnen Räumen geben dem Besucher die Möglichkeit über die zweite Ebene, die Einzel¬schicksale kennenzulernen. An dieser Stelle nennt die Ausstellung die Namen der Täter und setzt sich mit den Schicksalen der Opfer aus¬einander. Die dritte Ebene wird an den Trennwänden dargestellt und beschreibt die Auswirkung des Handelns der Täter. In einer zusätzlich übergeordneten Ebene im Flur wird der allgemeine geschichtliche Diskurs in der jeweiligen Zeit verortet. Der Flur ist durchgängig als eindrucksvoller Raum wahrnehmbar, durch die leuchtkastenartigen Aufsteller aber nur selektiv begehbar, was zu einer Metapher des für viele Verfolgte unumkehrbaren Weges zwischen Freiheit und Gefangenschaft wird.

Ein weiteres Vermittlungselement im Innen- und Aussenraum des Gebäudes sind „Fenster in die Vergangenheit“, welche Einblicke in die Geschichte des Hauses geben – von einem Silberkännchen aus Zeiten des Hotelbetriebs über die Verhaftung des ehemaligen württembergischen Staatspräsidenten Eugen Bolz 1933 bis zu den Diskussionen um den Erhalt des „Hotel Silber“ als Erinnerungsort in jüngster Zeit.

Mehrere Umbauten in den 1950er und -80er Jahren veränderten und überformten das Gesicht des Hauses. Die zur Errichtung des Erinnerungsortes notwendigen baulichen Eingriffe blieben im ersten Obergeschoss dennoch relativ gering, da hier die ursprünglich vorhandene Bürostruktur zum Gestaltungsmittel des Ausstellungsrundganges wurde. Die Wechselausstellungsfläche im zweiten Obergeschoss und auch die Wiederherstellung des ehemaligen Frühstücksraumes im Erdgeschoss erforderten jedoch umfangreichere statische Eingriffe.
Die für eine öffentliche und museale Nutzung notwendigen Maßnahmen, wie die brandschutztechnische Ertüchtigung, klima- und haustechnische Neuerungen, Anforderungen an die Barrierefreiheit wurden mit Blick auf den Bestand möglichst zurückhaltend umgesetzt.
Gestalterisch ist das Mittel des Abschälens historischer Schichten zum maßgeblichen Werkzeug der Sanierung geworden. Wand- und Bodenbeläge wurden entfernt und mit atmosphärisch und der Nutzung angemessenen Materialien belegt. Als Zitat der Büronutzung wurde großflächig ein grauer Linoleumbelag verlegt. Die Wände wurden abgeschält und wenn nötig gespachtelt. An einigen Stellen werden bauliche Spuren und die heterogene Bausubstanz sichtbar gemacht. Die zurückhaltende und homogene Farbigkeit ist Grundlage für eine adäquate inhaltliche Präsentation ohne überzogene Anleihen aus vergangenen Zeiten aufzunehmen.
Absicht der Gestaltung war, eine Balance zu schaffen zwischen der scheinbaren Bleiwüste der Akten und der Monstrosität der Verbrechen, die von diesem Ort ausgingen und dabei letztlich einen atmosphärischen, aber keinen überzogenen Stimmungsraum zu generieren.

Bauherr

Land Baden-Württemberg
Projektleitung
Vermögen und Bau Baden-
Württemberg, Amt Stuttgart
Planung
Wandel Lorch Architekten,
Frankfurt
Bauleitung
schleicher ragaller architekten,
Stuttgart
Nutzer
Haus der Geschichte
Baden-Württemberg
Tragwerksplanung
Ingenieurgesellschaft Dieterich,
Esslingen
Elektrotechnik
IB Siethoff, Filderstadt
HLS Planung
Rentschler und Riedesser,
Filderstadt
Bauphysik
Hüttinger, Lehrensteinsfeld