Zurück zum Profil
EBERT ARCHITEKTUR

JG

Neugestaltung Haltestelle der U1 am Jungfernstieg
Jürgen Schmidt
Jürgen Schmidt
Ort
Hamburg
Gebäudekategorie
Flughäfen, Bahnhöfe, Haltestellen
Bauvorhaben
Umbau
Jahr der Fertigstellung
2021
Material Fassade
Glas
Orchestrierte Ästhetik in den unendlichen Weiten des Untergrunds

Am Jungfernstieg liegt die größte Umsteigeanlage der Hochbahn beziehungsweise der S-Bahn Hamburgs unter der Erde und zum guten Teil auch unter dem Wasser. Zwei wichtige S-Bahn- und alle U-Bahnlinien der Stadt kreuzen sich hier oder sie haben eine sehr kurze Verbindung mit der nahe gelegenen Haltestelle "Rathaus". Das erzeugt eine Vielzahl von unterirdischen Räumen, Hallen, Ebenen, Treppen-, Rolltreppen- und Tunnelverbindungen. Man kann leicht die Orientierung verlieren. Umso wichtiger ist eine klare und vor allem markante Gestaltung der einzelnen Haltestellen. Darin haben sowohl die S-Bahn als auch die Hochbahn über Jahrzehnte Erfahrungen sammeln können, gilt es doch, gute und schnell begreifbare Unterschiede der einzelnen Haltestellen auch für schläfrige Fahrgäste zu markieren.

Elektronische Anzeigen in den Zügen und Lautsprecheransagen erleichtern dies zwar heute, für das Auffinden der richtigen U-Bahn-Haltestelle am Verkehrsnoten Jungfernstieg ist diese Hilfestellung aber auch sinnvoll. Die neugestaltete Haltestelle der U1 am Jungfernstieg zeigt das: Die Verlängerung der silberfarbenen Edelstahl-Deckenverkleidung aus der Haltestelle U1 in die Treppenabgänge hinein oder des konsequent aus Glas und Edelstahl konstruierte Aufzug weisen schon aus einiger Entfernung den richtigen Weg in den Untergrund - auch im vierfältigen, fast chaotischen Straßenraum am Jungfernstieg.

Deckenverkleidung als mentale Oberleitung

Der Glanz dieser leicht gewellten Platten fungiert wie eine mentale Oberleitung, zu der man imaginär Kontakt hält Dabei verhindert die Wellung konkrete Spiegelbilder und ungewollte Beobachtungen. Allein die diffus nachvollziehbaren Bewegungen reichen zur Orientierung und zur Belebung der Station offenbar aus. Sie schaffen eine ganze eigene Ornamentierung. Denn der Fußboden, die Verkleidung der Stützen und der Treppenab- beziehungsweise -aufgänge oder der Aufzug sind im Gegensatz dazu sehr zurückhaltend in Weiß, Grau und Schwarz oder in Glas gehalten. Auch wenn sich die unterschiedlichen Beläge und Verkleidungen hier und da zu einem Streifen- und Schachbrettmuster zusammenfügen, die Farben bringen die Menschen durch ihre Kleidung und die Einkaufstüten haben nur einen geringen Anteil an der Farbgebung. Außerdem gibt es nur wenige Bildschirme, die Werbung zeigen. Daraus entsteht auf den reflektierenden Deckenplatten ein eher hintergründiges, aber lebendiges Farbenspiel.
Die Vielschichtigkeit des Verkehrsknotens am Jungfernstieg hat der Haltestelle für die U1 nur wenig Spielraum in der Höhenentwicklung gelassen, und das Büro WRS Architekten und Stadtplaner hat alles Mögliche getan, um unter den Fahrgästen das Gefühl räumlicher Bedrängnis gar nicht erst aufkommen zu lassen - Bodenbeläge, die Verkleidungen der Stützen und Treppenanlagen haben deshalb helle Farben, und die Spiegelungen der Decke sorgen für eine optische Erweiterung des Raums nach oben. Dazu tragen auch die dunklen Wände hinter den Zügen sowie der Verzicht, dort Werbung anzubringen, bei. Die ganze Station scheint in den unendlichen Weiten des Untergrundes geradezu zu schweben.

Schweben in der Unterwelt

Dabei gehört die Gestaltung von U-Bahn-Haltestellen zu den wohl schwierigsten Arbeitsfeldern der Architektur. Für kaum eine andere Bauaufgabe müssen so viele Regeln beachtet werden wie hier. Die Fahrt und die Abfertigung der Züge, die Sicherheit des Fahrgastbetriebs, seiner Barrierefreiheit, die Nachhaltigkeit der Materialien, die Reinigung und Wartung der Oberflächen stellen hohen technische und zweckdienliche Anforderungen, die über deren ästhetische Wirkung gestellt werden. Zudem befindet sich direkt über der Deckenverkleidung eine große Vielzahl an Gerätschaften, die dort wie bei einem Tetrisspiel so untergebracht werden müssen, dass sie weder die Raumhöhe einschränken noch Beulen in der Decke erzeugen. Selbst die Platzierung von Abfalleimern muss zunächst technischen und betrieblichen Anforderungen folgen, bevor sie als Teil der Raumgestaltung angesehen werden kann. Wobei diese wohl eines der Hauptanliegen des Umbaus war.

Orchestrierte Ästhetik

U-Bahn-Haltestellen sind zwar - wie andere Verkehrsbauten auch - mehr Duschgangs- als Aufenthaltsräume, dennoch hat ihre Raumqualität einen hohen Anteil am Wohlbefinden all derer, die sie im Alltag benutzen- Erreicht wird diese Qualität nicht zuletzt durch die mit der Architektur gesetzten ästhetischen Reize, und deren Orchestrierung ist den Architekten hier bei aller gebotenen Zurückhaltung überzeugend gelungen. Die Haltestelle U1 am Jungfernstieg lädt - wie es oft so schön formuliert wird - zwar nicht gerade zum Verweilen ein. Das wäre für einen Durchgangsort auch buchstäblich abwegig. Ein kurzer Aufenthalt ist hier aber durch die wohlkomponierte Gestaltung der Haltestelle durchaus angenehm. In der sonst am Jungfernstieg auch unterirdisch herrschenden visuellen Vielfalt bildet die Haltestelle einen wohltuenden Ruhepol. Das ist Vorzug und gleichzeitig auffällig - und es hilft bei der Orientierung. Das ist vorbildliche Alltagsarchitektur!
Es wäre schön, wenn sich die Einsichten und Erfahrungen, die die Hamburger Hochbahn und die mit ihr zusammenwirkenden Architekturbüros bei ihren vielen Bauprojekten gewonnen haben, auch bei anderen Verkehrsträgern - zum Beispiel bei der Hamburger S-Bahn - einstellen würden. Die Stadt könnte davon insgesamt sehr profitieren.

Text: Olaf Bartels