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Carlos Zwick Architekten

Haus am See

José Campos
José Campos
Ort
Berlin
Gebäudekategorie
Einfamilien-, Reihen-, Wochenendhäuser
Bauvorhaben
Neubau
Jahr der Fertigstellung
2020
Material Fassade
Holz
Architektenpreis
Gewinner Architizer A+Awards 2021
Zwei marode, einsturzgefährdete Fachwerkhäuser, wildwucherndes Gestrüpp über 4000 qm und eine vielbefahrene Bundesstraße. Wenig einladend präsentierte sich das Grundstück am Potsdamer Jungfernsee, früher ein beliebter Ausflugsort mit Bootsanleger, Parkcafe und Tanzsaal. So wenig, dass ihm der Architekt Carlos Zwick nur flüchtig ein paar Augenblicke Aufmerksamkeit schenkte, als er 2011 auf der Terrasse des Nachbargrundstücks zum Kaffee eingeladen war. Und dabei suchten er und seine Lebensgefährtin schon eine ganze Weile nach einem Grundstück am Wasser. Viel Natur, ein schöner See, die Stadt um die Ecke und bezahlbar- so sollte es sein.
Drei Jahre später und immer noch nicht fündig, sprang dann der Funke über.

„Mir war klar, dass da ein Haufen Arbeit auf uns zukommen würde, aber je mehr ich mich mit dem Gedanken beschäftigte dort ein Haus für die Familie zu bauen, desto faszinierter war ich.“ Auch oder gerade die Umgebung, die eher an eine Industriebrache als an Potsdamer Wasservillennoblesse denken ließ, hatte es dem Architekten angetan - und machte das Seegrundstück erschwinglich. Bestechend auch die Nähe zur Potsdamer Innenstadt. In nur 10 Minuten mittendrin- perfekt!

25 Jahre hatte dort alles brachgelegen, auf dem Seegrundstück in Neufahrland. Einst hatten die Schiffe der Weißen Flotte tausende Ausflügler in den Sommermonaten hergebracht. Ein schöner Ort, mit seinen luftigen Kaiserterrassen am Wasser.
Doch der Charme vergangener Tage war längst Geschichte und auch an das legendäre Eis des Parkcafes erinnerten sich nur noch wehmütig ältere Nachbarn.

Potentielle Käufer hatte es im Laufe der Jahre immer wieder mal gegeben. Doch die waren meist genauso schnell weg, wie sie gekommen waren. Zum einen wegen des verheerenden Zustands der Denkmale.
Zerfressen von Hausschwamm und Nassfäule, mit von der Decke hängenden Balken und Wasser, das vom Dach bis in den löchrigen Fußboden lief, standen sie kurz vorm Einsturz.

Und nicht zuletzt auch wegen der vom Denkmalamt festgelegten Baugrenze von 50 Metern bis zur Uferkante. Die Kaiserterrassen am Wasser sollten nicht verändert werden, so die Auflage.
Verfallene Häuser unter Denkmalschutz, keine Genehmigung fürs Bauen am Wasser- das Ganze galt als unverkäuflich. Jetzt wurde es für Zwick erst richtig spannend.

2014 unterzeichnete er den Kaufvertrag- ohne Gewissheit, ob er dort jemals eine Baugenehmigung erhalten würde.

Die ersten Entwürfe waren schnell gemacht, Mies van der Rohes Farnsworth House stand Pate. Ein flaches, den Boden nicht berührendes Haus sollte es werden, mit genug Platz für die große Familie und einer Einliegerwohnung für die Oma. Ein Haus, das der Natur Respekt zollte, indem es sie in seine Architektur integrierte. Keiner der uralten Bäume sollte gefällt werden - soviel war klar.

Es folgte ein zähes Ringen mit dem Bauamt. Vier Anträge wies es ab, erst Nummer 5 brachte die Genehmigung. Der Plan: Ein Neubau auf Stelzen, die Sanierung von Parkcafe und Ballsaal und ein weiterer Baukörper, der die Lücke zwischen den beiden Denkmalen schließen sollte. Das Vorhaben Familienhaus wurde ein Projekt!

Heute steht das Haus auf insgesamt 10 Einzelfundamenten und 40 diagonalen Stelzen, in 3 Metern Höhe. Mit seiner Fassade aus vertikalen schmalen Lärchenholzlatten verschmilzt der Baukörper mit den Kronen der ihn umgebenden riesigen Bäume.
Ein großer Ahorn wächst mitten durchs Wohnzimmer.
Was jetzt so selbstverständlich und gewachsen dasteht, als wäre es nie anders gewesen, war ein kniffeliges Stück Arbeit. Weder mit Turmdreh- noch Autokran konnte zwischen dem üppigen Baumbestand gearbeitet werden und so errichtete Zwick das gesamte Haus nur mit Hilfe eines mobilen Teleskopstaplers.

Überhaupt ist es die Natur, die in dem Entwurf des Architektenhauses die erste Geige spielt. „Auch das Wasser hat mich hier total fasziniert und ich habe mir überlegt, wie ich in den Innen – und Außenräumen größtmögliche Nähe zum See herstellen kann. Jetzt schweben wir quasi über ihm, beim Frühstück, in den Wohnbereichen und auf der 22 Meter langen Loggia. Mit ihrem verglasten Geländer erstreckt sie sich wasserseitig über die gesamte Breite des Hauses.“

Zugänglich ist die Terrasse aus allen drei angrenzenden, großzügigen Wohnräumen. Riesige Schiebefenster aus Eichenholz gewähren hier freien Weitblick über das Wasser.
Trotz der Höhe der Wohnebene, die Loggia liegt immerhin 8 Meter über dem Wasserspiegel, ist der See auch im Haus immer präsent. „Das bringt eine unglaubliche Wohnqualität“, so Zwick. „ Schon zum Frühstück ziehen Fischreiher und Schwäne auf Augenhöhe vorbei und abends zockelt hin und wieder sogar mal ein Fischotter durchs seichte Wasser.“

Das Herzstück des Hauses ist die große Wohnküche mit Kamin, Sitzecke und 7,50 Meter langem Esstisch aus Olivenholz. Hier trifft sich die Familie mit ihren 6 Kindern gerne und oft zum Essen. Auch die beiden großen Hunde, Schröder und Tilda, haben ihren Lieblingsplatz gefunden und wärmen sich den Pelz stundenlang vorm brennenden Kamin.

Es scheint, als wären alle Bewohner angekommen, in ihrem Haus am See. Weg möchte hier sowieso keiner mehr und muss es vermutlich auch nicht. Denn selbst für den Fall, dass sich die Lebensumstände doch mal ändern, hat der Architekt vorgesorgt. Das Haus ist so geplant, dass es sich ohne allzu großen Aufwand in drei Einheiten aufteilen lässt. „Wer weiß, ob wir hier später nicht mal ´ne richtig nette Alten- WG gründen oder ein Mehrgenerationenhaus. Denkbar ist hier wirklich alles.“


Text: Claudia Kensy