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hammeskrause architekten

Schaufenster der Wissenschaft

Neubau Zentrum Biomedizinische Forschung BMF, Universität zu Lübeck
Foto: Werner Huthmacher
Foto: Werner Huthmacher
Ort
Lübeck
Gebäudekategorie
Labor-, Forschungsgebäude
Bauvorhaben
Neubau
Jahr der Fertigstellung
2020
Material Fassade
Glas
Die Erkenntnisse eines Strukturvirologen hätten bei uns vor ein paar Monaten nur ein müdes Kopfschütteln hervorgerufen. Zu komplex, zu fachspezifisch, allenfalls für eine kleine Expertenschar von Interesse. Mit der Corona-Pandemie ist die Forschung in unserem Alltag angekommen und zeigt, wie wichtig der Erkenntnisgewinn daraus ist. So ist es mehr als eine Randnotiz, dass ein Teil der internationalen Forschung an Coronaviren in Lübeck passiert – und zwar im kürzlich fertiggestellten Neubau Biomedizinische Forschung (BMF). Anstelle im stillen Kämmerlein ohne Ein- und Ausblicke zu forschen, gibt ein großes Schaufenster Ein-sicht in die Aktivitäten vor Ort. Der Wunsch nach Transparenz ermöglicht den steten Perspektivwechsel – Grundvoraussetzung für den Erfolg in der Forschung.

Dass eine neue Wissenschaftskultur auch baulich neue Räume erfordert, war lange nicht im Fokus der Architekturdebatte. Zu sehr hat sich in den Köpfen die Vorstellung vom Forscher im Elfenbein-turm festgesetzt. Forschungsbauten müssen im Laufe der Zeit immer wieder auf neue programmatische, strukturelle und funktionale Anforderungen reagieren. Außerdem ist keine andere Gebäude-typologie durch den hohen Anteil an technischer Ausstattung so teuer in Investition und Betrieb wie der Forschungsbau. Die Folge sind klassische Strukturen aus einer Anordnung von hoch installierten Laboren und niedrig installierten Büroflächen in optimaler Flächenausnutzung. Seit ein paar Jahren ist ein Umdenken deutlich sichtbar in den neuen Raumkonzepten abzulesen. Denn gute Ergebnisse in der Forschung stehen in direktem Zusammenhang mit guter Wissenschaftsarchitektur. Architektur kann eine Umgebung schaffen, die Ideen im Kopf und zwischen den Disziplinen fließen lässt. Durch offene Strukturen in den vorhandenen Flächenangeboten, aber auch bei Zufallsbegegnungen auf informellen Kommunikationsebenen.
Die Anforderungen für den Neubau Biomedizinische Forschung (BMF) sind komplex. Acht Institute und fünf Technologieplattformen aus der Entzündungsforschung sind räumlich im Neubau zu vernetzen. Benötigt werden Bereiche für die Grundlagenforschung und angewandte Forschung, biomedizinische, chemische und experimentelle Labore sowie Sicherheitsbereiche mit S3-Laboren (inklusive Schleuse und eigenem Luftkreislauf). Den spezifischen Anforderungen der verschiedenen Nutzergruppen von Medizin bis Wissenschaft ist ebenso Rechnung zu tragen wie dem Wunsch nach Flexibilität. Außerdem schließt der Neubau des BMF direkt an das bereits gebaute „Center of Brain, Behavior and Metabolism“ (CBBM) an, so dass die Forscher nicht nur fachlich im engen Austausch stehen.
Eine Herangehensweise wäre, die technischen und organisatorischen Anforderungen gegeneinander abzuwägen und in gebauten Raum zu übersetzen. Der andere Weg, den das Büro hammeskrause präferiert, ist der des Zuhörens. „Wir nehmen uns die Zeit, das Umfeld und die Arbeitsweise der Nutzer zu verstehen, bevor mit der eigentlichen Entwurfsplanung begonnen wird“, erklärt Markus Hammes den Prozess. Es gilt, die engen Grenzen aus räumlichen Vorgaben vonseiten des Bauherrn, meist eine Mischung aus Länder- und Bundeshoheit, mit den Vorstellungen der Forschungsnehmer auszuloten und den interdisziplinären Forschungsansatz in eine räumliche Übersetzung zu bringen.
Die Kubatur des Neubaus setzt im heterogenen Umfeld einen Ruhepunkt. Der städtebauliche Entwicklungsplan, der auch von hammeskrause architekten entwickelt wurde, sieht eine zentrale grüne Achse auf dem Campus vor, entlang der sich die neuen Hochschulbauten unterordnen und durch deren Ausrichtung und Körnung das Areal strukturieren. Wo bislang noch ein Parkplatz für die Mitarbeiter liegt, wird in Zukunft die Campusmitte mit einem attraktiven Angebot an Grün- und Freizeitraum ergänzt. Das ist auch der Grund, warum der Haupteingang des BMF sich zur zentralen Grünachse ausrichtet und nicht – wie das CBBM – zur anliegenden Marie-Curie-Straße.
Der Wunsch der Stiftungs-Universität nach Transparenz und Offenheit zeigt sich im geschosshoch verglasten Erdgeschoss. Im Inneren verknüpft eine Abfolge von lichtdurchfluteten Atrien die Raum-sequenzen und lädt bereits im Erdgeschoss mit Cafeteria, Ausstellungs- und Aufenthaltsbereichen zum Gedankenaustausch ein. Der nahtlose Übergang in das durch eine nur für Insider erkennbare Fuge direkt anschließende CBBM war bereits zu Beginn der Planungen so angelegt. Die große offene Treppenskulptur gibt einerseits Orientierung und dient zugleich als Verknüpfung der offenen Kommunikationszonen, die man sich je nach Bedarf unabhängig von den Forschergruppen aneignen kann. Das kann der Tischkicker auf der einen Ebene, aber auch die Lounge Landschaft eine Etage drüber sein. Der Vorteil liegt auf der Hand: was im Raumprogramm als reine Verkehrsfläche ausgewiesen ist, erweist sich in der Realität als multifunktional nutzbare Raumreserve.
Um eine maximale Flexibilität für die sich immer wieder neu gruppierenden Forschungsgruppen zu erreichen sowie diese für alle nutzbaren Funktionsflächen sinnvoll zu arrangieren, sind die Ober-geschosse strukturell identisch aufgebaut. Hoch installierte Bereiche stapeln sich übereinander, um einen wirtschaftlichen Betrieb zu garantieren. Auswerteplätze, Arbeitsplätze und geräteintensive Zonen sowie Lager- und Dunkelzonen fügen sich zu modular aufgebauten Laborclustern.
Das schafft ein Konzept der kurzen Wege und optimierter Arbeitsabläufe, das auch auf veränderte Forschungsbedingungen flexibel reagieren kann. Die dadurch gewonnenen Freiheiten zeigen sich in der Mischung aus Büro- und Kommunikationsflächen, die vielfältige Einblicke, auch über die Etagen hinweg, ermöglichen. Diese Offenheit im System war auch für die Forscher im BMF zuerst Neuland. Doch die Vorteile der informellen Kommunikation zeigen sich schnell in der neu formierten Community und den daraus entstehenden Sonderforschungsbereichen. Die Büroflächen liegen mit wenigen Ausnahmen direkt an der Außenfassade, um das Tageslicht optimal zu nutzen und eine natürliche Be- und Entlüftung zu ermöglichen. Lediglich an der Nordfassade kehrt sich das System um. Die bislang nach innen orientierten Laborcluster öffnen sich zur zentralen Achse und ermöglichen durch die individuellen Anordnungen der Arbeitsgruppen direkten Einblick in die Forschungslandschaft.
Die Flexibilität des Flächenangebots bildet sich in der vorgehängten filigranen Pfosten-Riegel-Konstruktion nachdrücklich ab. Unabhängig von den Nutzungsmöglichkeiten hinter der Fassade umhüllt eine homogene Glashaut die Kubatur. Für die Fassade des BMF wird die bestehende Optik des CBBM mit einer horizontalen Bandstruktur fortgesetzt. Jeweils zwei Bänder sind verglast und mit integrierten Öffnungselementen versehen, während das dritte Band als opake Füllung konzipiert ist. Auf diese Weise wird die für den Forschungsbau notwendige Haustechnik ins gestalterische Konzept integriert und ermöglicht zudem eine wohltuende Hierarchielosigkeit der Räume hinter der Fassade. „Die horizontale Gliederung ist der Entwicklung des Gebäudes von innen heraus geschuldet“, erklärt Markus Hammes, „wir schnüren sinnbildlich die interdisziplinären Forschergruppen innerhalb des Volumens mit den Bändern zusammen, geben ihnen somit Halt und zeigen die Vielfalt der Forschung über die vertikalen Lichthöfe.“ Lediglich für die Nordfassade wird die Bänderung unterbrochen. Zu-gunsten der Idee des überdimensionalen Schaufensters ist diese Seite als geschossübergreifende Verglasung ausgeführt.
Der Neubau des BMF spiegelt auch ein neues Selbstverständnis von Forschung wider. Komplexe Versuchsaufbauten, abgeschirmte Labore mit Zugangskontrolle und hohen Anforderungen an Sicherheit erfordern von der Forschung ein hohes Maß an Introvertiertheit. Zugleich ermöglichen das Material Glas und dessen plastischer Einsatz Transparenz auf mehreren Ebenen. Funktional und gestalterisch im Sinne des Ausblicks, der Verortung, der Tageslichtnutzung bis in hohe Gebäudetiefen und des Wohlbefindens der Forscher. Aber auch im Sinne eines Bildungsauftrags. Ziel: Über die Einblicke in sonst verschlossene Welten das Erlebbarmachen von Spitzenforschung zu ermöglichen und idealerweise das Interesse zukünftiger Generationen für die Wissenschaft zu wecken. Hier schließt sich auch wieder der Kreis zur Corona-Forschung. Anstelle dem Ruf ins Ausland zu folgen, entschied sich der renommierte Forscher Professor Rolf Hilgenfeld für eine Fortsetzung seiner Arbeit in Lübeck – im frisch fertiggestellten BMF sind die Bedingungen für Spitzenforschung nahezu optimal.
„Der Zugang in die Gebäude kann sowohl von außen, aber auch innerhalb der Gebäude über die großen Foyers erfolgen. Die Atrien sind als Treffpunkte konzipiert. Das ist eine große Chance für spontane informelle Gespräche der Wissenschaftler, um Hypothesen, Versuchsansätze und Ergebnisse interdisziplinär und arbeits-gruppenübergreifend zu diskutieren. Das bringt Forschung weiter!“ (Markus Hammes)
 
(Auszug Veröffentlichung DBZ 6-2021)
 
Auftraggeber               
Bundesland Schleswig-Holstein, vertreten durch das Gebäudemanagement, Schleswig-Holstein AöR (GMSH)
Nutzer                         
Universität zu Lübeck
Architekt                      
hammeskrause architekten bda, Stuttgart
NF 1-7: 7.426 m²
BGF: 15.700 m²
BRI: 61.721 m³
Fertigstellung: 2020
Adresse: Marie-Curie-Straße, 23562 Lübeck