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MEYER–GROHBRUEGGE

Baugruppe Kurfürstenstrasse 142

Laurian Ghinitoiu
Laurian Ghinitoiu
Ort
Berlin
Gebäudekategorie
Wohn-, Geschäftshäuser
Bauvorhaben
Neubau
Jahr der Fertigstellung
2022
Material Fassade
Glas
In unserem Zeitalter der digitalen Atomisierung wirkt die Idee der Kommune anachronistisch und vielleicht auch nostalgisch unerreichbar. In der realen Welt hingegen existieren wir weiterhin unter anderen Menschen - Seite an Seite im Zug, an verschiedenen Arbeitsplätzen von ungefähr gleicher Größe oder in der Schlange, die wir aus den verschiedensten Gründen bilden.

Wir fragen also: Wie können wir anders zusammenleben?

Um neue Möglichkeiten zu finden, haben wir ein Haus geschaffen, das nicht nur offen bleibt - sowohl für die Welt als auch für seine Bewohner*innen -, sondern durch die Art seiner Gestaltung auch das Potenzial hat, einen neuen Dialog mit den Gewohnheiten seiner Bewohnerschaft zu beginnen.

Kufu 142 besteht aus sechs Türmen, deren Fassaden parallel zu den umliegenden Straßen verlaufen. Die Türme überschneiden sich vertikal und horizontal, wobei die Etagen wie Finger ineinander greifen.

Obwohl die Quadratmeterzahl variiert, besteht jede Einheit aus einem doppelhohen Raum, der durch das Gebäude gesteckt ist und dessen Fenster sowohl zur öffentlichen Straße als auch zum privaten Innenhof gerichtet sind. Außer den Badezimmern gibt es keine Innenwände. Daher ergibt sich die Privatsphäre oder Verbindung aus der Anordnung der Ecken, Ebenen und Sichtlinien.

Die meisten Wohnungen haben vier angrenzende Nachbarn und dort, wo die Einheiten miteinander verbunden sind, entstehen Räume mit geringerer Höhe. Diese Kollisionszonen können zu jeder der beiden angrenzenden Wohnungen gehören, so dass Räume für beide oder auch Zwischenräume entstehen - als Gästezimmer, Heimkino, Musikzimmer, Küche und so weiter.

Es gibt keine klaren Grenzen zwischen den Einheiten und keine Flure - daher kann der Wohnraum als ein Kontinuum gesehen und genutzt werden. So gibt es potenziell unendlich viele Möglichkeiten, sich durch das Gebäude zu bewegen und die Einheiten miteinander zu verbinden. Die Struktur fordert dazu auf, die gängigen Definitionen von Gemeinschaft zu überdenken. Auf diese Weise kann das gesamte Gebäude geöffnet werden, jeder Raum ist mit mehreren anderen verbunden, und die Bewohner*innen können wählen, wann, was und mit wem sie ihr Leben teilen wollen.

Die Architektur erzwingt weder das Zusammenleben noch das Teilen. Vielmehr erlaubt die Flexibilität der Struktur, private und gemeinsam genutzte Räume nach den individuellen Bedürfnissen zu gestalten. Die Bewohner*innen sind eingeladen, die traditionellen Grenzen zwischen sich und ihren Nachbar*innen neu zu verhandeln - und neue öffentliche Räume für gemeinsame Interessen zu erschließen. Ziel ist es, dass das Gebäude neue Wege der Verschmelzung und Begegnung findet und dazu auffordert, den Raum auf neue und andere Weise zu nutzen. So können an jeder Schwelle neue Beziehungen auf einer kleinen, aber wichtigen Ebene entstehen. Diese Überschneidungen sind kein symbolischer Teil des Plans, sondern schaffen reale Möglichkeiten für den Austausch zwischen Nachbar*innen.

Das Gebäude ist auch bestrebt, sich mit seiner Umgebung zu verbinden. Direkt davor, an der Kurfürstenstraße, befindet sich einer der ältesten und einzigartigsten Prostitutionsstreifen Berlins. Diese nördliche Ausrichtung ist laut und verbindet das Gebäude mit dem Straßenleben der Stadt, steht aber auch in scharfem Kontrast zu dem ruhigen, grünen Garten im Süden. Die Architektur reagiert auf diese beiden drastisch unterschiedlichen Aspekte des Lebens und ist nicht als moralischer Kommentar oder spielerische Ironie gedacht. Es zeigt einfach, dass die Menschen sich sowohl mit der städtischen Landschaft als auch mit der Natur verbunden fühlen müssen - denn beides ist schön und lässt uns lebendig fühlen.

Die Straße wird Teil des Hauses und ist Teil der Verhandlung, so dass jeder, der sich auf Straßenebene befindet, nicht nur in das Leben der Bewohner hineinschauen kann, sondern buchstäblich durch ihre Räume hindurch. Die ebenerdigen Fenster sind auch eine passende Metapher für die Transparenz und Offenheit der Wohnräume.

In einer ähnlich einladenden Geste durchbricht die sägezahnförmige Anordnung der Türme die undurchdringliche Mauer der europäischen Blockstruktur, die das Öffentliche vom Privaten trennt. Die durchbrochene Linie von Kufu 142 lässt die Grenze verschwimmen und schafft einen Raum, der die Beziehung zur Straße verändert.

Ein Projekt von JUNE14 Meyer-Grohbrügge & Chermayeff