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Hadi Teherani

Europa-Passage Hamburg

© Jörg Hempel
© Jörg Hempel
Ort
Hamburg, Altstadt
Gebäudekategorie
Läden, Einkaufszentren
Fußgängerparadies im Straßengeviert
Obwohl von außen dank der integrierten Altbausubstanz kaum in den wahren Dimensionen zu entschlüsseln, handelt es sich bei der Europa-Passage nicht allein um eine Passage mit Randbebauungen. Im pulsierenden historischen Zentrum der Stadt Hamburg wurde ein ganzer Baublock umdefiniert und erneuert. Die Spundwände zur Absicherung des Baugrunds reichen 40 Meter weit. Die Baugrube fand ihren tiefsten Punkt bei 25 Metern. Der Scheitelpunkt der an einen schlanken hölzernen Schiffsrumpf erinnernden, parabelförmigen Bogenkonstruktion unter dem Glasdach der Passage liegt bei maximal 25 Höhenmetern. Doch darüber liegen fünf weitere Etagen für Büros. Das historische Höhenmaß der Nachbarbebauungen wurde dennoch an keiner Stelle überschritten.

Insgesamt erreicht die mitten im Geschäftsbetrieb Hamburgs nur 23 Monate währende Baumaßnahme zwischen Kellersohle und Dach eine Dimension von 60 Metern. Die Ausdehnung in der Breite liegt nur wenig unter der maximalen Baulänge von über 160 Metern, zwischen dem Vordach an der Mönckebergstraße und den Eingangsarkaden am Jungfernstieg. Wenn im kommenden Jahr auch die Büroebenen bezogen werden können, sind von der ersten Idee bis zur endgültigen Fertigstellung aller Details 10 Jahre vergangen. Der alte Traum der Hamburger Stadtplaner, die Mönckebergstraße mit der Binnenalster und dem exklusiven Passagenviertel der City zu verbinden, reicht noch viel weiter in die Stadtgeschichte zurück.

Mekka der Sinne
Die elegante und grazile Achse der Passage, die lebendige Erschließungsschlucht zwischen Fußgängerzone und Binnenalster, spielt die Hauptrolle im Zusammenspiel aller städtebaulichen Ordnungs- und Verdichtungsmaßnahmen. Die geradlinige, direkte Anbindung der Hauptfußgängerströme von Hauptbahnhof und Hafencity an die mit der Binnenalster besonders attraktive kleinteilige Kernstadt etabliert das lange fehlende Drehkreuz zwischen den unterschiedlichen Anziehungspunkten der Stadt.

Modern und gleichzeitig traditionsbewusst, raffiniert im Detail und edel im Material, dezent, aber von überlegener Ausdruckskraft in der räumlichen Dynamik trifft die Europa-Passage die richtige Tonlage zwischen einem Mekka der Sinne und dem architektonischen wie stadthistorischem Anspruch einer Weltstadt. Als Drehkreuz der wichtigsten Fußgängerströme wird die Passage zum überdachten Marktplatz und Treffpunkt, zu einem neuen Zentrum der Stadt, auf jeder Ebene gekrönt mit einem unvergleichlichen Ausblick auf die Binnenalster.

Zwar musste das ehemalige, durch Kriegseinwirkung und spätere Veränderungen stark beeinträchtigte Europahaus am Ballindamm einem neuen Kopfbau der nach diesem Ursprung benannten Europa-Passage weichen. Angesichts der gelungenen mehrschichtigen, in ihrer Tiefe überaus geschickt zwischen Stein und Glas vermittelnden neuen Wasserfront mit Arkade, weit zurückgesetztem Eingangsportal und futuristischem Panorama-Aufzug haben sich die Wogen der Auseinandersetzung längst geglättet. Ein ausgewogenerer Eingriff in das weltweit präsente Bild Hamburgs als Stadt am Wasser ist nicht mehr vorstellbar.

Räumlich vereint die Europa-Passage in ihrem besonderen Querschnitt den Straßentyp der Passage, bei dem sich der Handel nur auf das Erdgeschoss beschränkt, mit dem Galerietyp der Passage, bei dem die Ladenlokale und Restaurants über mehrere Ebenen organisiert sind. Denn die freigestellten konstruktiven Bögen in Holzanmutung mit ihrem gläsernen Gipfelpunkt halten den Straßenraum im Brennpunkt des Geschehens stets präsent. Auch Binnenalster und Jungfernstieg, Alsterarkaden und Passagenviertel werden mit dem neuen Publikumsmagneten neues Leben gewinnen.

Neue Dimension von Urbanität
Mit der Europa-Passage vor der Kulisse von Jungfernstieg und Alstersee definiert das amphibische Hamburg in seinem Rathausquartier einen neuen Höhepunkt urbaner Repräsentation. Im Mittelpunkt ihrer historischen Uridee, der Stadt- und Wasserlandschaft zwischen Alster und Elbe, gewinnt die Stadt der Brücken und Passagen nicht nur mit dem weltweit einzigartigen Boulevard an der Binnenalster neue Anziehungskraft. In der langen Geschichte der gläserner Himmel über glanzvoller Warenpracht, mit denen sich das antike Rom ebenso zu schmücken suchte wie das historische Paris, eröffnet Hamburg ein ganz neues, überraschendes Kapitel Passagengeschichte.

Beide Elemente, der alte, neu entdeckte Boulevard an der Binnenalster wie die Neuinterpretation des Bautyps Passage zwischen Mönckebergstraße und Jungfernstieg verweisen aufeinander und ergänzen sich. Ihr Schnittpunkt liegt dort, wo der sonst um keine verletzende Kritik verlegene Heinrich Heine das Schauspiel der Stadt am Wasser besonders begeistert beschreibt, „wenn die Nachmittagssonne nicht zu wild glüht, sondern nur heiter lächelt und mit ihrem Glanze die Linden, die Häuser, die Menschen, die Alster und die Schwäne, die sich darauf wiegen, fast märchenhaft lieblich übergießt.“

Die Europa-Passage stärkt dieses grandiose Landschaftsmotiv der Stadt mitten in ihrem Kern durch ein für diesen Bautyp einzigartiges, neues Verdichtungs- und Raummodell. Die Passage windet sich nicht klammheimlich durch Hinterhöfe. Anders als konventionelle Passagen urbanisiert die Europa Passage eine authentische Straße der Stadt und durchdringt nur auf den letzten Metern vor der Binnenalster die Bebauung selbst. Die neue Dynamik der Passage ereignet sich mit ihrer freigestellten parabelförmigen Bogenkonstruktion mitten auf der Straße und erreicht mit raffinierten Raumdurchdringungen und Blickachsen unter Glas deren angrenzende Dächer. Aus der Straßenkreuzung Paulstraße/Hermannstraße entstehen so nicht nur weitere Zugangsmöglichkeiten, sondern interessante Ein- und Ausblicke innerhalb einer fünfgeschossigen gläsernen Halle, dem zentralen Schwerpunkt der Passage. Noch nie war es dem Stadtwanderer oder Flaneur leichter möglich, seine Stadt auch in der Vertikalen zu erobern.

Neuer Reiz der Verdichtung

Paris wollte vor 140 Jahren seine Boulevards gläsern überdachen, was technisch damals gar nicht möglich war. Der Reiz der Europa-Passage liegt vor allem darin, eine typische Hamburger Straßenschlucht architektonisch mit Brücken und Galerien zu entfesseln und mit ihren erhaltenen angrenzenden Häusern zu einem äußerst ungewöhnlichen Funktionsgefüge zu verschmelzen. Dank der Komplexität der Hamburger Gesamtanlage mit 6 Parkebenen, 5 Passagen- und 5 Büroebenen wird die Nutzfläche der „Fünf Höfe“ in München deutlich übertroffen. Eine Passage mit direktem U-Bahn-Anschluss im Haus, 700 Stellplätzen, intelligent verborgener Anlieferung für über 120 Ladenlokale, Restaurants und Cafés, mit von außen betrachtet ungeahnten Bürokapazitäten an kleinteiligen Wintergärten jenseits und oberhalb der Einkaufsgalerien, die dennoch nichts anderes beansprucht als 160 Meter Straßenlänge mitten in der Stadt.

Struktur und Wegeführung der Europa-Passage sind erstmalig allein aus dem Stadtgrundriss gewonnen. Über die direkt erschlossenen Einkaufsebenen reicht das vielfältige Stadtschauspiel dieser Passage mit Ausblick auf Jungfernstieg und Binnenalster bis auf die Höhe der Dächer Hamburgs und darüber hinaus. Der Beweis ist erbracht, dass komfortables reizvolles Einkaufen und Flanieren nach wie vor eine ureigene Qualität von Stadt ist. Darum sind der Europa-Passage in der Konkurrenz um den Schönheitspreis der Metropolen viele Nachahmer zu wünschen. Zur Reaktivierung der Innenstädte und zur Reanimierung ihrer oftmals vergessenen Boulevards.

Ob es aber einen reizvolleren Standort mit überraschenderen Wechseln von Räumen und Bildern für diesen neuen, zukunftsfähigen Typ von Stadtbaustein gibt? Heinrich Heine und mit ihm viele andere prominente Bewunderer der lustvollen Synthese des Stadt- und Naturschauspiels Hamburg wären sich ihrer Antwort ganz sicher.