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Kern Architekten

Pfarrhof U

Nicolas Felder, Wiggensbach
Nicolas Felder, Wiggensbach
Ort
Unteregg
Gebäudekategorie
Gemeinde-, Kulturzentren, Mehrzweckhallen
Bauvorhaben
Sanierung
Jahr der Fertigstellung
2017
Material Fassade
Putz
Architektenpreis
Sonderpreis Bezirksdenkmalpreis Schwaben 2019
Pfarrhof wird Dorfgemeinschaftshaus

Nach einer umfangreichen Restaurierung des ehemaligen Pfarrhofs in der Gemeinde Unteregg dient das vormalig leerstehende denkmalgeschützte Bauwerk heute als belebtes Dorfgemeinschaftshaus. In dem Gebäude befinden sich ein Sitzungssaal der Gemeinde sowie Räume für die Pfarrgemeinde, Senioren, Eltern-Kind-Gruppen und Veranstaltungen. Dieses Engagement zur Reaktivierung würdigte der Bezirk Schwaben mit einem Denkmalpreis.

Barockes Bauwerk

Der gut erhaltene barocke Pfarrhof, der etwa um 1780 erbaut wurde, ist in dessen Architektur bis heute fast gänzlich unverändert geblieben. Das zweigeschossige Gebäude besteht aus fünf zu fünf Achsen und besitzt ein historisches Walmdach unter dem ein hölzernes, profiliertes Traufgesims verläuft. Eine weitere Besonderheit des barocken Bauwerks stellt der liegende Dachstuhl mit großen Querschnitten der Balken dar sowie den mit Zapfen und Holznägeln verbundenen Andreaskreuzen. Die barocke Bauweise zeigt sich neben den massiven Außen- und Innenwänden auch in der Anordnung der Räume entlang eines Mittelflurs sowie einer seitlich gelagerten zweiläufigen Treppe. Die Türen im Innenraum mit geschweiften Feldern geben ebenso die Bauzeit gut zu erkennen. Als weitere Besonderheit ist die doppelte konstruktive Decke im repräsentativen südöstlichen Eckzimmer des Obergeschosses zu nennen. Geschmückt mit Stuckprofilen zeigt sich auch hier die konkave Formensprache des Barock.

Behutsame Restaurierung

Durch die Restaurierung konnte die bestehende historische Bausubstanz erhalten bleiben, bzw. wiederhergestellt werden. Mit dieser Haltung wurden beispielsweise Fundamente nur repariert und restauriert, Innen und Außenputze bewahrt oder lediglich schadhafte Hölzer im Dachstuhl querschnittsgleich ausgetauscht. Damit der historische Dachstuhl langfristig keine Schäden erhält, wurden hier keine Veränderungen vorgenommen und dieser auch nicht weiter ausgebaut. Nachdem in den 1950er Jahren bereits Fenster ausgetauscht wurden, sind vor der Restaurierung nur noch zwei barocke Fenster erhalten gewesen. In moderner Bauweise orientieren sich alle neu entstandenen Fenster an diesen barocken Vorlagen. In Zusammenarbeit mit einem Holzrestaurator wurden Böden wie Treppen und Türen im eingebauten Zustand restauriert. Für einen großräumigen Sitzungssaal und Veranstaltungsraum sind im Erdgeschoss zwei Räume kombiniert worden.

Schlichte Farben

Neben der Bauweise orientieren sich auch Materialien und Farben an der Barockzeit. Anhand von Befunden wurden historische Farben wieder aufgegriffen. Bei Türen und Fensterläden kommt ein warmes Grau zum Einsatz, das sich an ein barockes Grau anlehnt und ursprünglich auf Basis von fein geriebener Buchenholzkohle hergestellt wurde. Trotz der Schlichtheit und Größe der Kubatur erscheint im Spiel mit der hellen Fassade der filigrane und elegante Charakter des Gebäudes. Bei der Neugestaltung der Fassade wurde darauf Wert gelegt, dass diese sich nur an den Barock anlehnt und nicht imitiert.

Alte Substanz und moderne Standards

Bei der Restaurierung des Pfarrhofs steht der sorgsame Umgang mit der historischen Bausubstanz im Vordergrund. So wurde beispielsweise bei der Integration von moderner Technik und Standards darauf geachtet, das alte Mauerwerk so wenig wie möglich anzugreifen. In Abwägung mit dem Altbestand mussten allerdings auch Kompromisse eingegangen werden, so dass mit Schwellen und fehlendem Aufzug nicht immer eine Barrierefreiheit gegeben ist. Um die ehemalige Struktur des Hauses aufzugreifen und die Nutzungen an ihrem Ort zu belassen, sind die neu benötigten Toiletten im ehemaligen Stall untergebracht, der sich abseitig an der nordwestlichen Ecke des Gebäudes befand.

Lebendige Mehrfachnutzung

Nachdem der ehemalige Pfarrhof im Besitz der Kirche über viele Jahre leer stand und zwischenzeitlich privat bewohnt wurde, stand dieser zum Verkauf. Die Gemeinde Unteregg hat sich mit einem Finanzierungskonzept und Förderungen entschieden das Gebäude zu kaufen. Neben dem Sitzungszimmer und dem Büro der Bürgermeisterin steht das Dorfgemeinschaftshaus heute nicht nur der Gemeinde zur Verfügung, sondern auch Senioren-, Musik- und Jugendgruppen sowie der allgemeinen Öffentlichkeit für Veranstaltungen. Eine echte Mehrfachnutzung erfährt dabei der Sitzungssaal, der darüber hinaus als Veranstaltungsraum verwendet wird.

Grünes Ensemble

Das Dorfgemeinschaftshaus liegt nordwestlich der Kirche St. Martin. Das Ensemble aus Pfarrhof, Gasthof und Pfarrkirche bildet das neue Herzstück der Gemeinde Unteregg und belebt das alte Ortszentrum. Verwoben mit der umgebenden Landschaft wurde gleichermaßen die Gartenanlage bei der Restaurierung mitgestaltet. Ein Teil beherbergt einen Blumen- und Kräutergarten, der das Ländliche und Bäuerliche widerspiegelt und an den Nutzgarten ehemaliger Haushälterinnen des Pfarrhofs erinnert. Im Osten erstreckt sich hingegen der großflächige repräsentative Vorgarten mit starken Geometrien, Buchsformationen, Kiesflächen und eingefassten Beeten. Selbst im Außenraum lassen sich ansatzweise barocke Formen entdecken.