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RENNER HAINKE WIRTH ZIRN ARCHITEKTEN

Pestalozzi Quartier

Haus G
Jochen Stüber
Jochen Stüber
Ort
Hamburg/ St.Pauli
Gebäudekategorie
Wohnen
Bauvorhaben
Neubau
Angaben zum Bestand
Das Baugebiet befindet sich in Hamburg St. Pauli auf dem Schulgelände der ehemaligen Pestalozzi-Schule. Es wird durch die Straßen Kleine Freiheit, Paul-Roosen-Straße, Große Freiheit und Simon-von-Utrecht-Straße begrenzt. Während die drei erstgenannten Straßen überwiegend durch Wohnnutzungen mit Gewerbeeinheiten in den Erdgeschossen geprägt sind, bildet die Simon-von-Utrecht-Straße Richtung Süden die atmosphärische Grenze zum Vergnügungsviertel um die Reeperbahn.

Die Simon-von-Utrecht-Straße ist auf Höhe des Baugebiets nicht bebaut. Erst in der Kleinen Freiheit beginnt eine viergeschossige Blockrandbebauung, die durch den Pausenhof und den Sportplatz der ehemaligen Pestalozzi-Schule wieder geöffnet wird. Ein Wohnhaus von Gustav Oelsner aus dem Jahre 1929 bildet den Abschluss der Bebauung und diente zur städtebaulichen Vervollständigung des Schulensembles. Die an den Sportplatz mit einer massiven Eckbebauung anschließende Paul-Roosen-Straße weist eine kleinteilige, durchgehend geschlossene, zwei- bis viergeschossige Blockrandbebauung auf. Die Hinterhöfe sind fast vollständig ein- bis zweigeschossig bebaut.

Auch zur Großen Freiheit hin schließt die Paul-Roosen-Straße mit einem höheren Eckgebäude ab. Danach öffnet sich der Block wieder und wird lediglich von einem Nebengebäude der Pestalozzi-Schule und einem Gebäudekomplex aus dem 18. und 19. Jahrhundert geschlossen. Letzteres ist ein Zeitzeugnis der hier ursprünglich angesiedelten Mennoniten-Gemeinde.

Auf der gegenüberliegenden Seite zieht sich eine dreigeschossige Bebauung mit zwei benachbarten Musikclubs in den Erdgeschossen bis zur Simon-von-Utrecht-Straße.

Pestalozzi-Schule
Bereits seit 1842 wurde der Standort durch eine Schule genutzt. Das alte Schulhaus wurde in den Jahren 1870 bis 1907 dreimal erweitert, wobei auch eine Mädchenvolksschule errichtet wurde. Veränderte Ansprüche an pädagogische und hygienische Bedingungen begründeten 1926 den städtischen Be¬schluss unter dem Altonaer Bausenator Gustav Oelsner, das ursprüngliche Schulhaus durch einen Neubau zu ersetzen - die Pestalozzi-Schule. Um nach dem Verständnis der 1920er Jahre Licht und Luft in die historische Stadtstruktur zu bringen, wurde das Schulgebäude freistehend errichtet. Durch die großzügige Öffnung des Pausenhofes und die Festsetzung der rückwärtigen Baulinie des Schulgebäudes erzeugte man einen Bruch mit der umgebenden Bebauung aus der Kaiserzeit und der Straßenraum der Kleinen Freiheit wurde durch den Rück¬sprung erweitert. Der viergeschossige Bau entstand kubisch differenziert als Eisenbetonkonstruktion und mit einer lebendigen Backsteinfassade. Fensterbänder in allen vier Geschossen betonen die Horizontale. Eine halboffene Kolonnade am Rande des Pausenhofes diente den Schülern als Regenschutz.

Von der ehemaligen Mädchenvolksschule sind noch die Gebäude Kleine Freiheit 63 und Kleine Freiheit 65 erhalten. Das Klassentraktgebäude an der Kleinen Freiheit 63 wurde im Zweiten Weltkrieg stark be¬schädigt und beim Wiederaufbau nicht originalgetreu wieder aufgebaut. Der direkt an der Straße gelegene Schulbau Kleine Freiheit 65 dokumentiert hingegen noch den öffentlichen Schulbau des beginnenden 20. Jahrhunderts - Neorenais¬sance-Architektur und mit Jugendstilelementen verzierte Putzfassaden. In den Jahren 1929-30 wurde angrenzend an die Bestandsbebauung auf der Südseite des Schulhofes von Gustav Oelsner ein Wohnhaus mit 13 Wohneinheiten errichtet, um den Neubaukomplex städtebaulich zu vervollständigen. Heute wird dieses Gebäude an der Kleinen Freiheit 62-64 von der SAGA/GWG verwaltet.

Städtebauliches Konzept
Die Vielfalt St. Paulis wird zum Konzept des Pestalozzi-Quartiers. Die städtebauliche Schichtung der alten Schulbebauung, der wertvolle Baumbestand, gemischt mit der Neubebauung und einer größtmöglichen Wohn- und Freiraumqualität gestalten den städtischen Raum. Die im Block vereinzelten Bestandsgebäude haben Solitärcharakter- die ergänzende Neubebauung nimmt die ortsspezifische Typologie auf und führt den vorhandenen Charakter weiter. Der Entwurf reagiert dabei individuell auf die unterschiedlichsten Straßenränder.
Die Blockränder sind grundsätzlich geschlossener gehalten, jedoch ist ein paritätisch ausgewogenes Kraftverhältnis zwischen Masse und Freiraum gegeben. In Ost-Westrichtung ist das Quartier porös, Lücken mit Treppen, Mauern und kleinen Plätzen öffnen das Quartier fußläufig zur Kleinen bzw. Großen Freiheit.
Oberstes Ziel ist es, Freiräume für die Anwohner zu schaffen. Jeder Anwohner soll einen Ort vorfinden, der seinen Bedürfnissen entspricht, mit einer Akzentuierung auf Familien mit Kindern. Der bewusste Verzicht auf lange Gebäudefluchten lässt viele einzelne Plätze entstehen, die axial aneinander ausgerichtet sind. Die zum größtmöglichen Teil erhaltenen Großbäume markieren diese Orte und kreieren ein besonderes Flair. So entstehen unterschiedliche städtische Räume, die von den Platzrändern nach innen an Individualität zunehmen und eine Vielzahl an Nutzungen erlauben.

Neubau G und Altbau 2
Im Zentrum des Blocks liegt der Quartiersplatz, ein öffentlicher Treffpunkt für alle Altersgruppen des Pestalozzi-Quartiers. Nördlich und östlich wird der Platz durch die Turnhalle der Pestalozzi-Schule und den Geschosswohnungsbau F2 begrenzt. Südlich fassen die ehemalige Mädchenschule und ein viergeschossiger Geschosswohnungsbau für Senioren (G) den Platz ein.
Eine Anhebung des Daches des unter Umgebungsschutz stehenden, ehemaligen Schulgebäudes ermöglicht die Ausbildung von vier Vollgeschossen. Der westliche Treppenhausanbau wird rückgebaut (Abbruch der Toilettenräume), um Wege- und Abstandsflächen Richtung Senioren-Neubau zu schaffen. Dieser schließt in der Flucht des Anbaus im Westen an und reagiert durch den Rücksprung des 2. und 3. Obergeschosses ebenfalls auf das nahegelegene Bestandsgebäude. Damit wird für beide Gebäude eine ausreichende Besonnung und Belichtung gewährleistet. 
Die Erdgeschosswohnungen des Alt- und Neubaus sind zum öffentlichen Raum leicht erhöht und haben Richtung Süden und Osten vorgelagerte Gärten.

Architektonisches Konzept
Das viergeschossige Mehrfamilienhaus wird ebenerdig über ein großzügiges, zentrales Treppenhaus mit Aufzug erschlossen. Um das Erdgeschoss vom Platzniveau anheben zu können und trotzdem einen barrierefreien Zugang zu gewährleisten, ist der Aufzug als Durchlader konzipiert.

Der in Form einer zweigeschossigen Pfosten-Riegel-Fassade verglaste Eingangsbereich wird durch ein winkelförmiges „Portal“ ergänzt, das zum einen als Wetterschutz dient und zum anderen die Briefkasten- und Klingelanlage aufnimmt.

In den beiden unteren Geschossen entstehen jeweils drei Wohnungen für Einzelpersonen, in den beiden zurückspringenden, oberen Geschossen sind es jeweils zwei Wohnungen für zwei Personen.

Die unteren Wohnungen organisieren sich als Dreibund um das Treppenhaus- östlich und westlich mit nord-/südorientierten Wohnungen. In der Mitte sind die Wohnungen ausschließlich Richtung Garten im Süden orientiert. Die Wohnbereiche im Erdgeschoss öffnen sich ebenerdig zum Garten, im 1.OG wird dieser durch einen großen Balkon ersetzt.
Die oberen Wohnungen sind ebenfalls nord-/südorientiert und erhalten über Balkone an der Südseite attraktive Außenbereiche, die den Wohnräumen vorgeschaltet sind. Die östliche Wohnung im 2.OG staffelt sich in Form einer Dachterrasse zurück.

Trotz begrenzter Wohnfläche ergeben sich über offene Wohnbereiche und offene Küchen großzügige Wohnungsgrundrisse.

Im Untergeschoss befinden sich neben den zwei notwendigen PKW-Stellplätzen, Abstellräume sowie ein Trockenraum als Ergänzung zu den relativ kleinen Wohnungen.