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VON M

Hölderlinhaus

Ein Haus für den Menschen Friedrich Hölderlin
Zooey Braun
Zooey Braun
Ort
Lauffen am Neckar
Gebäudekategorie
Museen, Galerien
Bauvorhaben
Umbau
Jahr der Fertigstellung
2020
Material Fassade
Beton
Architektenpreis
Beispelhaftes Bauen
von David Kasparek

Johann Christian Friedrich Hölderlin wurde am 20. März 1770 in Lauffen am Neckar als Sohn einer Pfarrerstochter und eines Klosterhofmeisters geboren. Zum 250. Geburtstag des Lyrikers galt es, das erhaltene Geburtshaus des wohl bekanntesten Sohns der Stadt zu einem ihm gewidmeten Museum umzugestalten, das zudem Raum für lokale Veranstaltungen bieten sollte.

Die Bauforscher und Architekten von strebewerk erforschten das denkmalgeschützte Wohnhaus der Familie Hölderlin in enger Zusammenarbeit mit der Restauratorin Julia Feldtkeller und den Tragwerk-planern vom ingenieurbüro grau. Sie entwickelten ein Instandsetzungskonzept, geprägt von Substanzerhaltung und Authentizität, das die baugeschichtlich beredten Wände ihre Geschichte selbst erzählen lässt. Ab Leistungsphase 4 übernahm VON M, wodurch sich die Möglichkeit einer transdisziplinären Arbeit ergab: Die Trias aus Ausstellungsgestaltung, Sanierung des Bestandshauses und Erweiterung durch einen Neu- bau ermöglicht in Lauffen am Neckar das ganzheitliche Gestaltungsverständnis des Büros VON M umzusetzen. Im Sinne einer Inszenierung von Raum, wie ihn etwa Alban Janson propagiert, wird hier die Architektur gleichermaßen zum Hintergrund, vor dem der Lyriker als Mensch, wie die künftigen Besucher*innen in Szene gesetzt werden, und das Haus selbst Teil dieser atmosphärischen Szenerie wird. Ein Projekt vom Um- über den Neu- bis hin zu Möbelbau.

Das Haus als Miteinander aus Alt und Neu
Im Bestand wurde unter hohem Zeit- und Kostendruck mit einer Vielzahl an Fachplanern zusammengearbeitet: Neben Statik, HLS und Elektro waren das Baugrundgutachter, Bauphysiker, Akustiker, Holzschutzgutachter, Bauhistoriker, Restauratoren, Schadstoffgutachter, Lichtplaner, Aufzugsplaner und ein Landschaftsarchitekt. Eine große Anzahl an fachlich Planenden und Ausführenden befand sich damit parallel auf der Bau- stelle, die in enger Abstimmung mit dem zuständigen Denkmalamt fortwährend weiter entwickelt wurde. Aufgrund einer gutachterlich festgestellten Schadstoffbelastung musste das Haus zunächst eingehaust und aufwändig von den giftigen Materialien befreit werden.

Die historischen Räume wurden wieder hergestellt, Bauteile und zahllose Details – von der frühneuzeitlichen Fachwerkkonstruktion über heterogene Wandbeläge bis hin zu den teils noch barocken Fenstern – aufwändig restauriert sowie im Schulterschluss mit dem Landesamt für Denkmalpflege saniert. Wie Fenster in die bewegte Vergangenheit des Hauses scheinen diese Zeitschichten an verschiedenen Stellen des Gebäudes immer wieder auf. Mit Gespür für das Nach- und Nebeneinander der historischen Zustände wurden in den Leistungsphasen 1 bis 3 exemplarische Wände ausgewählt, die alle Kettenglieder der Baugeschichte erkennen lassen. Aus den Ergebnissen der restauratorischen Untersuchung und Bemusterungen von Pigmentierung und Lasurdichte wurde zugleich für die neuzufassenden Wände ein Farb- und Beschichtungskonzept entwickelt, das die Idee der historistischen Raumschale aufgreift und dennoch die Spuren der Geschichte durchscheinen lässt.

Auch am Außenbau musste behutsam vorgegangen werden. Den Anforderungen des Denkmalamtes entsprechend, trägt der neue Putz gegenüber dem Fachwerk der Fassade kaum merklich auf. Da es gleichzeitig galt, die Vorgaben der zeitgenössischen Bauphysik zu erfüllen, wurde ein mineralischer Dämmputz verwendet, dessen Aufbringung hohe handwerkliche Fertigkeit bedurfte.

Um die neu hinzugefügten Bauteile deutlich von der bestehenden Substanz abzugrenzen und sie als Kinder ihrer Zeit kenntlich zu machen, wurde auf Beton und Stahl zurückgegriffen. Von der Straße aus zeigt schon das kleine neue Technikgebäude an: ich bin neu. Mit diesem kleinen, aus Beton gegossenen Anbau wird das Haus aktuellen Ansprüchen nach technischer Infrastruktur ebenso gerecht, wie es mit einer zusätzlichen Außentreppe elementarer Teil des notwendigen Brandschutzkonzepts ist. Der kleine Gebäudeteil steht nur in Gehwegbreite von der Landstraße der Nordheimer Straße entfernt, so dass hier eine hohe Schmutzbelastung durch den Verkehr zu erwarten ist. Entsprechend ist der Beton vertikal strukturiert, was die anfallenden Verschmutzungen dauerhaft in den kannelierten Vertiefungen kaschieren wird. Von der Hofseite kann dieser kleine Trakt als separates Bauteil gelesen werden, ohne mit den anderen neuen Bauteilen zu verschmelzen. Gemeinsam ist ihnen die materielle Abgrenzung vom Bestand und damit einhergehende Einschreibung in unsere Tage.

Die Kubatur des neuen Erschließungsbauwerks schreibt die der barocken Scheune in Richtung Hang fort und ordnet sich ihr unter. Dieser kleine Turm erschließt mit einer Treppe und einem Fahrstuhl das gesamte Haus. Auch der barrierefreie Zugang kommt hier über eine an der Ostseite des Altbaus entlang geführte Rampe an, da das historische Pflaster der Hofeinfahrt nicht verändert werden durfte und als barrierefreier Zu- gang nicht in Frage kam. Mit großem Aufwand wurde dieses – im wahrsten Wortsinne – Treppenhaus an den Bestand herangeführt: Unterschiedlich weit abgetreppt schmiegt es sich an die Vor- und Rücksprünge des Bestandsbaus an und sorgt so für eine sprichwörtliche Verzahnung von alt und neu. Auch der historische Keller, der bis ins 13. Jahrhundert zurückdatiert werden kann, ist von hier aus zugänglich. Wie alle anderen Bauteile, die den Hang berühren – vom gesamten EG bis hinauf ins 1. OG des Treppenturmes –, ist auch sein neuer Boden in WU-Beton ausgeführt. Im Hochwasserfall steht der Pegel von Neckar und Zaber bisweilen bis an die Unterkante der Decke des UG. Das Gebäude wird vor eindringendem Wasser an der einzigen Öffnung im UG zum Gewölbekeller hin mit einer speziellen Hochwassertür geschützt, die ob ihres Gewichts von 500 Kilogramm schon während des Betonierens eingebracht werden musste – zu einem späteren Zeitpunkt wäre das nicht mehr möglich gewesen. Diese Spezialanfertigung zwischen Treppenhaus und Gewölbekeller dichtet die Öffnung auf Zug ab; anders als die meisten Hochwasserschutztüren, die nur auf Druck ausgelegt sind.

Gemeinsam mit dem eingeschossigen Wechselausstellungsraum bildet das neue Treppenhaus eine mehrfach verschränkte Gebäudegeometrie. Ihre homogene äußere Schale wird durch die Fasung der Beton- Schal- tafeln horizontal gegliedert. So erzeugt der Beton selbst eine Struktur, die zu einer schöneren Alterung als herkömmliche glatten Betonflächen beitragen wird. Der Wechselausstellungsraum wiederum ersetzt eine einst zweigeschossige Scheune und übernimmt mehrere Funktionen. So kann er gleichermaßen für wechselnde Ausstellungen wie auch als Bar genutzt werden: An der dem Eingang vom Treppenhaus gegenüberliegenden Wand ist – neben einem Stuhllager – auch eine kleiner Verkaufstresen untergebracht. Er ist durch einen Klappmechanismus für die Zeiten des Betriebs zu öffnen und verschwindet ansonsten in der Oberfläche der raumbildenden inneren Schale. Diese innere Raumschale ist von allen störenden Installationen befreit. Die Belüftung wird durch eine seitlich in den Boden eingelassene Quelllüftung gewährleistet. Hier, an der Hangseite des Raums, sind auch die elektronischen und technischen Leitungen unter- gebracht, was auch den Boden des Raums frei von Installationsdosen oder anderen technischen Einrichtungen hält. Aufgrund des hier verbauten WU-Betons gelten besondere Anforderungen: DIN-gerecht muss der Ersteller jederzeit an die entsprechenden Bauteile herankommen, um diese bei Bedarf fachgerecht nach zu verpressen. Sämtliche Flächen der hangseitigen Wände und Böden hier wie in Keller und Treppenhaus sind konsequent nicht belegt. So können sie stets auf der gesamten Höhe vom Boden bis zur Decke von Bauherrn und Rohbauer nachbearbeitet werden. Auch der Verzicht auf jedwede Verkleidungen oder Estriche erklärt sich so: es werden schlicht mögliche Folgeschäden vermieden.

Der Raum öffnet sich zum Hof hin auf der kompletten Länge. Der Hof selbst wird als äußerer Innenraum inszeniert: Eine Linde wird gepflanzt, Haus wie Klostermauer werden – wie der Baum – von unten beleuchtet in Szene gesetzt. Ein deutliches Zusammenspiel von Innen und Außen wird möglich: Durch seine flache Kubatur gibt der Wechselausstellungsraum den Blick vom Hof aus auf den hinter dem Grundstück liegenden Weinberg erstmals wieder frei. Das in Lauffen am Neckar relevante Thema Wein wird so auch im neuen Hölderlinhaus präsent.

Das Grundstück selbst ist aufgrund dieser Hanglange jedoch komplex. Bei den Erdarbeiten für die Neu- bauten wurden vorgeschichtliche Siedlungsreste und Reste von hochmittelalterlichen Grubenhäusern gefunden. Die denkmalgeschützte Klostermauer aus dem 13. Jahrhundert verfügte überdies über keinerlei Fundament, was aufwendige Unterfangungsarbeiten notwendig machte und einen Bauverzug unweigerlich zur Folge hatte. Zwischen der historischen Mauer und den Neubauteilen ergab sich nur ein äußerst geringer Arbeitsraum. Entsprechend schwierig war die Baustelleneinrichtung neben Scheune und Altbau, die beide ebenfalls denkmalgeschützt sind.
Da die hangseitige Giebelwand der historischen Scheu- ne für heutige Verhältnisse statisch kaum nachvollzieh- bar über die Grundmauern des historischen Gewölbekellers ragte, musste auch sie baukonstruktiv komplex unterfangen werden.

Der Stahl als zweites Baumaterial unserer Zeit schließlich findet sich als Trägermaterial der Verbindungsstege zwischen Alt- und Neubau in der ehemaligen Scheune, als Manschetten, die sich durch die ihre Bestandsmauern hindurchstecken, um eben diese Stege zu führen, und im neu entwickelten Möbelsystem.