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driendl*architects

TWIST TOWER

Foto: James Morris
Foto: James Morris
Wie man Winkel zieht von Christian Kühn

'Twist Tower': Der Name ist Programm. Denn Georg Driendl hat die Geschoßebenen seines Bürohauses in der Schönbrunner Straße jeweils um einige Grad gegeneinander verschwenkt - nicht nur für das Gebäude ein Gewinn, sondern auch für den Straßenraum.

Eine weniger inspirierende Bauaufgabe kann es kaum geben: ein Bürohaus in der Schönbrunner Straße im fünften Wiener Gemeindebezirk, eingeklemmt zwischen alten Gründerzeithäusern. Der Bauherr, ein privater Bauträger, verlangt naturgemäß die maximale Ausnutzung des Grundstücks. An der Straßenseite erlaubt der Bebauungsplan ein achtgeschoßiges Gebäude, tief in den Hof hinein ist eine maximal zwei-geschoßige Bebauung zulässig.
Gute Beispiele für derartige Baulückenfüllungen im gründerzeitlichen Bestand sind selten. In den sechziger und siebziger Jahren wurden diese Löcher meist mit billiger funktionalistischer Massenware gefüllt, in den Achtzigern mit unbeholfenen Versuchen, sich ans historistische Stadtbild anzugleichen. Derart behandelt, drohen auch zentrumsnahe Stadtteile mit hoher Standortqualität herunterzukommen. Die Schönbrunner Straße mit ihrem dichten Verkehrsaufkommen und den beinahe ausgestorbenen Geschäftslokalen im Erdgeschoß gehört in diese Kategorie. Mit reiner Bestandssanierung ist hier nichts mehr auszurichten: Um das Image eines solchen Gebiets zu verbessern, braucht es auch deutliche Veränderungen, die den Ort neu interpretieren und ihn in einem anderen Licht erscheinen lassen.
Genau das ist Georg Driendl mit seinem "Twist Tower" gelungen. Der Name spielt einerseits auf die "Twin Towers" am Wienerberg an - eine mutige Analogie, da der Twist leicht 20mal in den Twin Towers Platz fände und von einem Tower überhaupt nur dann die Rede sein kann, wenn man sich die umgebende Bebauung wegdenkt - und andererseits auf eine Eigenart des Grundrisses: Die annähernd quadratischen Geschoß- ebenen des Hauptgebäudes sind jeweils um wenige Grad gegeneinander verschwenkt, was sich in den Fassaden deutlich abzeichnet: So wie sich an den Häusern nebenan Erker in den Straßenraum vorschieben, sind hier ganze Fassadenflächen gegeneinander verschwenkt und geben dem Gebäude seine charakteristische Erscheinung.
Völlig irrational ist diese Verschwenkung nicht: Da nach der Wiener Bauordnung Erker bis zu 80 Zentimeter in den Straßenraum vorspringen dürfen, gewinnt man so ein paar Quadratmeter Nutzfläche. Aber der eigentliche Witz der Sache ist nicht in Zahlen zu fassen. Man kann die Fassade als ironischen Kommentar zur verbreiteten Illusion interpretieren, daß in der gründerzeitlichen Stadt alles mit rechten Winkeln zuginge. Orthogonal sind die Parzellenzuschnitte aber bestenfalls in den großflächigen Erweiterungs- gebieten außerhalb des Gürtels. In der Schönbrunner Straße sind uralte Feldgrenzen und der Verlauf des Wienflusses für die Zuschnitte der Parzellen verantwortlich, und so gibt es auf dem ganzen für den Twist Tower zur Verfügung stehenden Grundstück keinen einzigen rechten Winkel.
Noch in einem weiteren Punkt unterscheidet sich der Twist Tower von seinen Nachbarn. Statt Treppe und Aufzug im Inneren des Gebäudes zu verbergen, läßt Driendl sie an der Fassade zur Schönbrunner Straße sichtbar werden. Dahinter steht die Idee, den Straßenraum zu beleben und die vertikale Erschließung zur halböffentlichen Verlängerung des Gehsteigs zu machen. In seinen ersten Entwürfen wollte Driendl die Öffnung zu dem dahinter liegenden begrünten Hofraum noch deutlicher betonen. Immerhin gibt es jetzt einen schmalen zwei-geschoßigen Durchblick, der Tiefe erahnen läßt.
Die oben erwähnte Forderung, "den Ort in einem neuen Licht erscheinen" zu lassen, darf man hier durchaus wörtlich nehmen: Driendl ist stolz darauf, dass um die Mittagszeit ein Lichtstreifen in die Schönbrunner Straße fällt und den Straßenraum aufhellt. Valie Export, die als Künstlerin eingeladen war, für das Gebäude eine Installation zu entwerfen, hat diesen Gedanken aufgenommen. In dem vertikalen Schlitz, den Driendl zwischen dem Treppenhaus und den Hauptnutzflächen offen läßt, sind gelbe, in der Nacht hinterleuchtete Streifen in die Außenhaut des Gebäudes eingelassen, die in einem un-regelmäßigen Rhythmus nach oben steigen.
Die Differenzierung der Geschoße vom Straßenniveau bis zur Attika ist ein besonderes Charakteristikum des Gebäudes. Der Grund dafür ist einfach: Auch wenn die Nutzung auf allen Geschoßen gleich ist, sind die Randbedingungen verschieden. Die unteren Geschoße erhalten weniger Licht und sind daher mit größeren Fenster-flächen gut bedient. Auch der vertikale Schlitz an der Fassade, in dem sich Valie Exports Lichtinstallation befindet, ist auf Straßenniveau am breitesten und verengt sich nach oben hin bis auf einen halben Meter. Dafür werden die Podeste der Treppe mit jedem Geschoß etwas tiefer und wachsen so bis aufs erlaubte Erkermaß von 80 Zentimeter in den Straßenraum hinaus, was in der Fassade zu einer leichten Schrägstellung der Verglasung führt.
Man ahnt bereits, daß ein derart zugleich in der Horizontalen wie in der Vertikalen differenziertes Konzept konstruktiv nicht ganz einfach zu bewältigen ist, schon gar nicht zu den Kosten eines konventionellen Bürohauses. Daß Driendl hier erfolgreich war, ist eine Meisterleistung, auch wenn er Abstriche bei manchen Materialien und Details - etwa beim Verzicht auf die Verglasung des Aufzugs - in Kauf nehmen mußte.
Mit diesem Bürohaus und dem Neubau der Österreichischen Schule in Budapest, die heuer eröffnet wurde, hat Driendl bewiesen, daß er zur ersten Liga der österreichischen Architekten gehört. Daß dorthin mit Dieter Henke und Marta Schreieck zumindest noch zwei andere Architekten dieser Generation aufgestiegen sind, die aus Roland Rainers Schule kommen, wird den alten Meister freuen. Das Irrationale und Spielerische hat Driendl aber nicht bei ihm gelernt, sondern eher bei einem Vorbild wie Rudolf Schindler, an dessen spielerisch-gelassenen, technisch auch bei beschränkten Mitteln virtuosen Umgang mit räumlichen und formalen Problemen höchster Komplexität man sich erinnert fühlt.
Für den Auftraggeber, Kallco-Projekt, der gerade für ein anderes Gebäude in ähnlicher Lage den Bauherrenpreis erhalten hat, hat sich das Spiel jedenfalls gelohnt: Trotz geringer Nachfrage auf dem Büromarkt ist das Gebäude zu 90 Prozent vermietet.

Spectrum, 16.11.2002