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HELGA BLOCKSDORF/ARCHITEKTUR

Birkenhäuschen am Stadtschloss Weimar

Simon Menges
Simon Menges
Ort
Weimar
Gebäudekategorie
Ausstellung, Installation
Bauvorhaben
Neubau
Jahr der Fertigstellung
2021
Material Fassade
Holz
Gelesen als ‚Set-Szenario-Situation’ (1) lädt das Baufeld im Ensemble der Coudray-Mauer mit den zwei Torhäusern, dem Roten Schloss, dem gelben Schloss, dem Studienzentrum der Herzogin-Anna-Amalia-Bibliothek und der Neuen Wache zu einem Gastspiel hinter, auf und über der Mauer ein.

Die Coudray ́schen Mauer gibt bei genauerer Betrachtung zunächst durch die Abfolge aus fünf und in Richtung neuer Wache vier Korbbögen in den geschlossenen Mauerflächen ein Rätsel auf. Insbesondere da der Ildefonso-Brunnen, welcher 1796 in Weimar errichtet und 1824 von Clemens W. Coudray an seinen jetzigen Standort verlegt wurde, heute vor den Bögen der Mauer nicht symmetrisch stehen kann. Dieses Rätsel ist Teil der Baugeschichte vor Ort: Ursprünglich waren von Clemens W. Coudray südlich und nördlich fünf Korbbögen angelegt zur repräsentativen Verkleidung der profanen Holzställe auf dem Weg zum Schloss. (2) Der nördliche fünfte Bogen, welcher die Symmetrie der Brunnenanlage herstellte, ist 1911 der Erweiterung der neuen Wache gewichen. Das gesamte Torhaus wurde um eine Bogenachse ‚versetzt’. Hier führt die temporäre Öffnung des südlichen Bogens den Eingang in den Ausstellungsraum ein. Damit wird der Brunnen wieder ins Zentrum der Betrachtung gerückt und ein neuer Dialog zwischen der klassizistischen Mauer und dem Ausstellungspavillon ist erfahrbar. Oben stehen die Besucher mit dem erhöhten Ausblick genau über den historischen Brunnenfiguren. So erweitert das Erlebnisportal das Programm malerischer Staffagen aus dem klassisch-romantischen Landschaftspark bis in den Innenhof der Stiftung und etabliert über den Himmelsraum des Aussichtsbogens einen neuen Blick in den Park an der Ilm.

Die Frage, wie man 2021 experimentell und innovativ ein Schaustück zum Wandel der Zeiten in und um das Weimarer Stadtschloss inszeniert, beantwortet der temporäre Bau aus 16-18cm Brettsperrholz mit einer hellen Hülle aus Birkenrinde. Die forschende Entwicklung der Planung und das handwerkliche Können thüringischer Baubetriebe zeigen sich in der Herausforderung, die Birkenrinde als historisches Baumaterial, in der Fassade wie neu erfunden einzusetzen. Die helle Färbung legt eine klar definierte Zeitschicht vor die dunkelgraue Wand des Roten Schlosses. Dabei erzeugt das 2-dimensionale Borkenkleid ein simples und kräftiges Volumen, dessen eigentlicher Leichtigkeit man erst im Inneren auf die Spur kommt. Als Gast an diesem Ort - modular rückbaubar und wiederaufbaubar - verweist die Bekleidung mit Birkenrinde auf den Bau des Borkenhäuschens im Ilmpark, welches unter der Regie von Johann Wolfgang von Goethe am 9.7.1778 für die Dauer einer Aufführung errichtet wurde. Dies lädt die Betrachter ein, die Kategorie des Ephemeren im Bauen und die mögliche Wirkdauer mancher Inszenierung zu bedenken.

(1) vgl. Jörn Schafaff. Rikrit Tiravanija. Set, Szenario, Situation. Werke 1987-2005, Kunstwissenschaftliche Bibliothek Bd. 52, Köln, 2018

(2) ‚Die nächsten Umgebungen des Schlosses und besonders nach der Stadtseite waren nicht die freundlichsten, besonders gewährten die Holzställe [...] vom Schloß aus einen häßlichen Anblick, ich proponirte also den Bau neuer Holzhallen, doch so, daß solche von der Straße nicht mehr als solche erscheinen, sondern für eine stattliche Hofbefriedung gelten und als Decoration der Schlossavenüen dienen sollten. Die Ausführung wurde von Serenissimo genehmigt und erfolgte alsbald. Das steigende Terrain machte die Bauanlage schwierig. Serenissimus befahl daher auf großen Jagdtüchern die abgesteckte Fassade abbilden zulassen, um im voraus den Effect ansehnlich zu erlangen. Dieses möchte bei schwierigen Bauwerken mehr geschehen, die Architekten wären dann umso sicherer des Erfolges.’ (Coudray, Ein deutscher Architekt des Klassizismus, Ralf Bothe, 2013 Köln, Weimar, Wien) © HB/A, Juli 2021

Helga Blocksdorf/Architektur
Team: Samuel Barckhausen, Arne Maxim Koll, Sofia Melliou Malplaquetstraße 19
13347 Berlin
www.helgablocksdorf.de

Bauherrin
Klassik Stiftung Weimar
Burgplatz 4
99423 Weimar

Landschaftsarchitektur
Thilo Folkerts
Käthe Niederkirchner Strasse 7 10407 Berlin
www.100land.de

Bauüberwachung/Brandschutz
Grubert Verhülsdonk Architekten PartGmbB Ralf Grubert, Jessica Voth, Bauüberwachung Daniel Verhülsdonk, Brandschutzkonzept Reichenberger Straße 113a
10999 Berlin