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hg merz

Kunstkammer Wien

Das dritte Leben der Dinge - was es heisst die Kunstkammer zu gestalten.

Eine Sammlung von aussergewöhnlichen Objekten in einer Ikone des Museumsbaus auszustellen,  ist wahrlich eine grosse Herausforderung für einen Architekten.

Sowohl das Haus, als auch die Sammlung, die jahrelang in einem Dornröschenschlaf lag,  sind weltweit einzigartig.  Das, so denkt man, wären doch genügend Garanten für einen Erfolg, wozu muss man da noch gestalten?  Muss man, denn Faktoren dieser Güte führen entweder zu einer Lähmung oder erfordern zu einer Gestaltung, die sich zwischen Demut und Delikatesse bewegen muss.

Die Neuaufstellung der Kunstkammer im Kunsthistorischen Museum in Wien hatte sich einerseits an der bedeutenden historischen Architektur von Carl von Hasenauer und Gottfried Semper auszurichten,  die Inszenierung einer, wie immer gearteten artifiziellen „Wunderkammer“,  schloss sich aus - das Haus war für solche „circensischen“ Auftritte nicht entworfen worden.  Andererseits musste eine Sammlung, die aus sehr vielen heterogenen Einzelstücken besteht, einem Publikum nahegebracht werden, das zwar gerne das Spektakuläre und das eher schnelle Erlebnis sucht, als sich kontemplativ auf ein Artefakt und dessen Nuancen einzulassen - magische Räume waren also vonnöten!  

Die Objekte, die wir hier ausstellen, haben ihr erstes Leben bereits hinter sich, sie sind aus ihrer  Bedeutungssphäre gerissen und musealisiert worden.
Die Umgebungen, in denen sie benutzt und bewundert wurden, sind für sie nicht mehr vorhanden, sie sind in eine neue Beziehung mit vielen anderen Objekten in einer Sammlung eingetreten. Dieses zweite Leben der Dinge in Vitrinen in einer Enfillade von Kabinetten des Kunsthistorischen Museums schuf diese Kunstkammer. In einer neuen Sortierung, in neuen Gefässen aber in den tradierten Räumen überführen wir sie nun in ihr drittes Leben.

Wir schaffen Konfigurationen, die aus Objekten, Texten, Materialien, Medien und der historischen Architektur Atmosphären erzeugen, die dem Besucher die Magie der Sammlung nahe bringen sollen.
Dieses Beziehungsgeflecht setzt voraus, dass man sich mit dem Bestand der Architektur, den Oberflächen, dem Dekor, der Belichtung und vor allem mit dem Wesen der Sammlung  und ihrer Geschichte auseinandersetzt.

Auf die Kunstkammer, hat der Begriff der Wunderkammer im eigentlichen Sinne noch nie zugetroffen. Vielmehr war die Sammlung immer eine Vitrinenpräsentation in einem Museum.
Unsere neue Ausstellung orientiert sich mit ihren Ausstellungshilfsmitteln an dieser tradierten Präsentationsform.  
Wir haben keine überinszenierten Räume geschaffen, die Architektur wurde so weit wie möglich erhalten, konserviert und in ihr Charakter gepflegt, Die Fensterebene musste allerdings aus konservatorischen Gründen (Lichtschutz) ergänzt werden, jedoch ohne das äussere und innere Erscheinungsbild zu verändern. Aus Gründen eines für die Exponate zuträglichen Klimas mussten Klimaschleusen an den Zugängen angebracht werden (Umbaumassnahmen:  b18-architekten zt gmbh).  Alle anderen Einbauten, wie Vitrinen, Hängeflächen für Tapisserien und Licht (Starbrick-Luster von Olafur Eliasson), sind als Möblierung zu verstehen. die die Architektur behutsam ergänzen.

Nicht nur die Reminiszenz an die historische Präsentation hat uns dazu bewogen, die Ausstellungsgestaltung mit ihren Hilfsmitteln für die Präsentation stark zurückzunehmen, sondern auch der Charakter der Objekte, die wir auszustellen hatten.  
Viele Exponate sind eine Inszenierung in sich, teilweise ein „Feuerwerk“ an Formen, Farben und Materialien, viele sind einfach grossartige Kunstwerke aus einem Material, deren Aura keine verstärkenden Massnahmen verträgt. All dies kann man nicht in einem Bühnenbild, mit dessen szenografischem Feuerwerk,  untergehen lassen.  

Es handelt sich bei der Präsentation dieser herausragenden Artefakte in der Trias von Raum, Exponat und Besucher also eher um das Entbergen  (im Heideggerschen Sinn) der Protagonisten und nicht um das Verbergen im Dekor.  So haben wir denn nicht lauter kleine Lebenswelten geschaffen, deren artifizielle Ausprägung den Exponaten keinesfalls gerecht werden würde, sondern ein unprätentiöses Schaudepot, das im Gegensatz zu einem Sammlungsdepot, jedem Exponat seinen Auftritt lässt und ihm genug Luft zum Atmen gibt.
Die Ausstellungsmöbel sind so entworfen, dass sie sich zwar in ihrer Materialität und in ihrer Funktion zurücknehmen, aber trotz ihrer dienenden, sachlichen Ausprägung mit ihren Proportionen, genügend Selbstbewusstsein gegenüber der Architektur aufweisen.

Es gibt vier verschiedene Formen der Präsentationsmöbel - freistehende Vitrinen, Wandvitrinen,  Tischvitrinen und überarbeitete historische Vitrinen - in unterschiedlichsten Ausmassen, die durch ihre Stellung und Komposition eine Varianz erzeugen, die jeden Raum unterschiedlich erleben lässt.
 
Das Prinzip der Reduktion und der Konzentration auf das Exponat schliesst jedoch nicht die Interaktionen zwischen den Artefakten aus. So ermöglichen durch ihre Stellung und Dichte die Ausstellungsmöbel, wie in einer  Wunderkammer, die gewünschten inhaltlichen Beziehungen / Dialoge zwischen den Exponaten. Der Besucher wird zum Vergleichen aufgefordert.  Es ist auch in Zukunft denkbar, dass der Besucher über eine App auf seinem Smartphone im Zusammenspiel mit RFID-tags an den Vitrinen, in einen selbstbestimmten Dialog mit den Exponaten tritt und sich Geschichten erzählen lässt, die zu neuen Betrachtungsweisen führen.

Die Kunstkammer ist nicht als episches Museum, sondern als Schausammlung gestaltet, die Objekte aller Gattungen, Raritäten, Exotisches und Kurioses als ein wundersames Ganzes zeigt und zum Entdecken anregt. Nicht eine Geschichtserzählung sondern das Erzählen von Geschichten war der Ansatz für unsere Gestaltung, und wir wollen erreichen, dass sowohl die Neugier als auch die Altgier (F. Nitsche) der Besucher befriedigt wird.