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Philosophie

ARCHITEKTUR UND MENSCH

Innen und Außen

Platon beschreibt in seinem Höhlengleichnis Menschen, die ihr ganzes Leben in einer Höhle verbracht haben. Gefesselt können sie nur in eine Richtung auf eine vor ihnen liegende Wand blicken. Durch ein Feuer vor der Hütte spiegeln sich an der Wand die Schatten von den draußen vorbeiziehenden Menschen.
Für die Menschen in der Höhle ist das, was sich auf der Wand abspielt, die einzige Wirklichkeit. Selbst das Echo der Stimmen, das von der Höhlenwand zurückschallt, ist für sie Realität. Kämen sie nach draußen, wären sie geblendet, hielten die Welt für weniger real als die ihrer vertrauten Schatten und würden wieder in die Höhle wollen.

Was ist die Wirklichkeit? Gibt es nicht immer eine Wechselwirkung von Innen und Außen, von Negativ und Positiv? In meiner Architektur und auch meinen Installationen gehe ich spielerisch mit diesem Umstand um. Es geht mir dabei darum, den Menschen in einen bewussten Prozess der Auseinandersetzung mit seinem Innern zu bringen und erfahrbar zu machen, dass das Außen immer Teil des Innen ist.

Wechselwirkung

Der Mensch steht immer in Bezug zu dem Raum und der Zeit, in der er sich befindet. Der Philosoph und Pädagoge Otto Friedrich Bollnow betont in seiner Abhandlung „Mensch und Raum“, dass der Mensch nicht in einem Raum wie ein Gegenstand in einer Schachtel sei, sondern in einer Wechselwirkung zu ihm stehe. So wie er auch mit seinem Körper Raum einnehme, lasse sich der Raum, in dem er sich befindet „in einer gewissen Hinsicht als erweiterter Leib betrachten“.
Bollnow zitiert bei diesem Gedankenspiel den französischen Philosophen Gaston Bachelard, der sogar so weit geht, von einer „Verschmelzung des Daseins mit einem konkreten Raum“ zu sprechen. Auch wenn es sich hierbei um eine philosophische Zuspitzung handelt, ist der psychologische und damit auch gesundheitliche Einfluss des Raumes auf den Menschen unstrittig.

Potenziale fördern

Von einer Fabrik über die Arbeitsstätte eines Schmiedes, vom Haus eines Geschäftsmannes bis zu dem einer Klein- oder Großfamilie ist es wichtig, dass der Raum die Potenziale der in ihm lebenden Menschen unterstützt. Es geht dabei nicht zwingend um Optimierung, sondern darum den jeweiligen Nutzer mit seinen spezifischen Eigenschaften und Kompetenzen zu erkennen, um ihm mit dem Gebäude gewissermaßen eine Art Handschuh zu bauen, der anliegt wie eine zweite Haut.

Gesellschaftlicher Auftrag

Gerade bei Kindern, die noch am Anfang ihres Lebens stehen, hat die räumliche Umgebung einen erheblichen Einfluss auf ihre Entwicklung. Kindergärten sind ein wichtiger, vertrauter Ort, an dem sie die Welt erfahren.  Mir ist es wichtig, Bedingungen schaffen, unter denen sich die Potenziale der Kinder optimal entfalten können. Die Architektur ist dabei für mich über die Dienstleistung hinaus ein gesellschaftlicher Auftrag.
So beziehe ich in unsere Bauten unter anderem neuste neurobiologische Erkenntnisse zum Lernverhalten der Kinder mit ein. Dass dabei die äußere Gestaltung des Gebäudes sowie die Innenraumkonzeption bis hin zu den Möbeln in einer Hand liegen, ist fu¨r die ganzheitlich angelegten Projekte grundlegend.

Mensch im Vordergrund

Der Neurobiologe Gerald Hüther weist darauf hin, dass Kinder am meisten durch Ausprobieren lernen. Sie entdecken dabei spielerisch sich selbst und ihre jeweiligen Kompetenzen. Die Eigenaktivität sowie die dadurch geförderte Selbstbilddung und Selbstwirksamkeit sind dabei zentral.
Es ist daher unser Ansatz, möglichst viele Angebote und Freiräume zu schaffen, damit das Kind seine eigene Kreativität entdecken kann. Durchdacht gestaltete Räume fördern Körpererfahrung, soziale Kommunikation und ästhetisches Empfinden. Durch Experimentieren und Forschen entwickeln die Kinder mit allen Sinnen ein Bild von sich selbst, den anderen und der Welt.

Arbeitswelt

Die Gestaltung eines Arbeitsplatzes kann den dort Wirkenden die Arbeit im schlimmsten Fall verleiden oder sie im besten Fall unterstützen, ihre Kompetenzen optimal zur Entfaltung zu bringen.
Wichtig ist uns hierbei, das Projekt gemeinsam mit dem Bauherrn zu realisieren. Bei einem Betrieb ist es mir wichtig, dass das Gebäude für das, was dort gemacht wird, steht und gleichzeitig optimal auf die Nutzungsanforderungen abgestimmt ist.
Bei der Bildgießerei Noack war es beispielsweise leitende Idee der Gesamtgestaltung, den Prozess, den das Kunstwerk in der Firma durchläuft, in der architektonischen Sprache durchscheinen zu lassen.

Lebensveränderung

Das Leben der Menschen wird durch den umgebenden Raum beeinflusst und kann sich durch eine neue Raumgestaltung positiv verändern.
So hatte ich den Auftrag, für ein über lange Jahre befreundetes Hamburger Ehepaar eine Wohnung auszubauen. Es hatte über lange Jahre in einer Altbauwohnung klassischen Zuschnitts gewohnt. Der für Visionen offene Geist der Eheleute schien mir durch die verbaute Architektur der alten Wohnung wie begrenzt zu sein. Der Umzug in die zu einem modernen Loft ausgebaute Fabriketage mit offenem Grundriss wirkte sich schon bald auf die Verfassung des Paars aus. Schon nach relativ kurzer Zeit kam es mir deutlich dynamischer und lebensneugieriger vor, was für mich zum großen Teil auf die neuen Räumlichkeiten zurückzuführen war.

Psychologie

Wie wichtig die psychologische Einfühlung in die Lebenswelt des Bauherrn und seine Bedürfnisse sind und dass es auch vorkommt, dass der Architekt durch seine Erfahrung Wirkungen des Bauwerks auf den Menschen voraussieht, die dieser sich vorher noch gar nicht vorstellen kann, zeigt ein anderes Beispiel.
Ich sollte für ein junges Paar ein Haus an einem See in Brandenburg bauen. Dem Paar war eine unverstellte Sicht auf den See durch eine breitflächige Verglasung sehr wichtig. Ich machte mehrfach darauf aufmerksam, dass ich bewusst keinen Gesamtausblick, sondern gezielte inszenierte Ausblicke wählen würde, um die Wertschätzung des Seeblicks aufrecht zu erhalten. Gerade bei offensichtlich schönen Aussichten bedarf es einer gewissen Verrätselung und überraschender Effekte, um im Alltag immer wieder einen frischen Blick entwickeln zu können. Da mir das Paar zudem stark durch den Wunsch nach neuen Konsumimpulsen geprägt schien, erachtete ich diesen Aspekt für noch wichtiger als er mir generell schon ist. Da ich den gewünschten Bau so nicht umsetzen wollte, wurde er von einem anderen Architekten realisiert. Ein paar Jahre später traf ich den betreffenden Hausbesitzer. Es tat mir leid für das Paar, war aber gleichzeitig eine Bestätigung meines Ansatzes, als der Mann mir sagte, wie sehr er heute bedauere, dem nicht gefolgt zu sein und erst jetzt nach längerem Wohnen verstehe, was ich damals gemeint habe.



ARCHITEKTUR UND TOPOS

Reaktion auf Umgebung

So wie der Mensch immer in einem Bezug zu dem ihn umgebenden Raum steht, gilt diese Wechselwirkung auch für das Verhältnis von Architektur und der Landschaft, in die sie platziert wird.
In dem Wissen darum, dass das Außen immer Teil des Innern ist, versuche ich mit der Architektur immer auf die jeweilige Landschaft oder das architektonische Umfeld zu reagieren. Der Topos ist dabei wie ein Anlass, der auf unterschiedlichste Weise Eingang in die Architektur findet.

Architektur und Natur

So habe ich bei der Gestaltung eines zentralen Platzes für das Ostseebad Graal Müritz die Dünenlandschaft in das architektonische Konzept des Platzes integriert und so mit dem Platz ein Bindeglied zwischen der Stadt und ihrer charakteristischen Küstenlandschaft geschaffen.

Bei dem Kindergarten in der Friedrichsberger Straße, wird der Neubau in den üppigen Baumbestand integriert indem gerade nicht versucht wurde, die Natur nachzuahmen. Vielmehr soll die klare massive Ästhetik des Baus gerade einen Gegenpol zur Natur schaffen und so durch eine großzügige Verglasung die Natur wie zelebrieren. Die Schatten, die die Bäume auf das kubische Gebäude werfen, verleihen ihm eine besondere Aura.

Architektur und Städtebau

Architektur kann den Städtebau aufgreifen und sich so in ihr architektonisches Umfeld integrieren. Sie kann aber auch einen bewussten Gegensatz kreieren um den Betrachter durch diese Irritation in eine gedankliche Auseinandersetzung zu bringen. In beiden Fällen ist das städtebauliche Umfeld Teil des Konzeptes.

Bei dem Bau des Wohn- und Gewerbekomplexes Gadegast in Potsdam wurden die Proportionen der Nachbargebäude bewusst in die Architektur aufgenommen, um dadurch ein Scharnier zwischen dem Neubau und seiner Umgebung zu bilden.

Genau umgekehrt verhält es sich mit dem Wettbewerbsentwurf für eine Champagnerbar im Zentrum von Paris. Die Abformung eines typischen Bauernhauses aus den Weinbergen der Champagne kreiert absichtlich einen Fremdkörper im großstädtischen Umfeld. Der Kontrast soll beim Betrachter einen Bewusstseinsprozess in Gang setzen, der wiederum mit dem Gedanken der Wechselwirkung zwischen Innen und Außen spielt.



ARCHITEKTUR UND GESCHICHTE

Prozess der Weiterentwicklung

So wie sich Architektur in einer Wechselwirkung mit ihrer Umgebung befindet, gilt das auch für die zeitliche Dimension. Gerade an historisch bedeutsamen Orten, ist es mein Ansatz, mit Architektur in ihrem geschichtlichem Kontext zu arbeiten. Anstatt das Vergangene sehr stark zu verfremden oder gar zu zerstören und etwas Neues hinzusetzen, soll das Alte viel mehr mit einer neuen Sprache bewusst erfahrbar gemacht und so mit neuen Inhalten gefüllt werden. 

Gefahr der Stagnation

Zu meinen, man könne Vergangenheit auslöschen indem man einfach etwas wegnimmt ist ein Trugschluss. Ebenso ich meine, dass das gegenteilige Ansinnen, historische Gebäude wie die Frauenkirche in Dresden oder das Schloss in Berlin naturgetreu wieder zu rekonstruieren ein Fehler ist. In beiden Fällen birgt ein solcher Umgang mit Geschichte die Gefahr der Stagnation anstelle von Weiterentwicklung in einem Prozess der bewussten Auseinandersetzung mit Geschichte.

Vergangenheit – Gegenwart – Zukunft

In einem Wettbewerb war es die  Aufgabe, den unvollendeten Rohbau des von den Nazis als größtes Freizeitbad der Welt geplanten und die nach dem Krieg unter dem Namen „Prora“ daraus entstandene größte Kasernenanlage der DDR für eine neue Nutzung zu gestalten. Statt dem neuen Bau seine ursprüngliche Funktion als Hotel- und Freizeitlandschaft zurückzugeben oder ihn als Denkmal und Museum zu gestalten, sollte dort eine internationale „Freie Akademie“ entstehen.
Das entworfene Gebäude konzentriert sich dabei nicht auf die intakte Architektur, sondern schneidet sich in den durch eine Teilsprengung der Roten Armee entstandenen Trümmerhaufen. Im Bewusstsein der so in die Architektur einbezogenen Erfahrung zweier Diktaturen, versteht sich die Akademie als eine fruchtbare Verbindung von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft

Würdigung und Vision

Bei der Aufgabe der Neugestaltung der Hedwigkathedrale in Berlin war es meine Grundidee, den Entwurf von Hans Schwippert beizubehalten, sehr sensibel mit der vorhandenen Bausubstanz umzugehen und sie behutsam zu erweitern. Schwipperts Einfall, die Krypta sichtbar zu machen ist sehr modern und steht symbolisch für eine Kirche des Aufbruchs. Ich habe diesen Gedanken aufgegriffen und ihn zeitgemäß im Sinne der Neuausrichtung der katholischen Kirche unter Papst Franziskus und dessem Bekenntnis zur Einfachheit und Bescheidenheit weiterentwickelt.

Schwipperts Arbeit wird gewürdigt, indem alle Elemente der Veränderung als solche optisch sichtbar gemacht werden. Durch die bewusste Wahl einfacher Materialien und das Spiel zwischen An- und Überformen rücken minimale Interventionen Vorhandenes in ein neues Licht.  Im Zentrum der Hauptstadt sollte die Hedwigkathedrale für die deutschen Katholiken eine Vorbildfunktion im Hinblick auf die Erneuerung der katholischen Kirche unter Papst Franziskus haben und so Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft architektonisch sichtbar zur Vereinigung bringen.



HERMENEUTISCHER ZIRKEL

Infragestellung

Der Mensch im Raum, der Raum im Topos sowie Mensch, Raum und Topos in der Geschichte. Alles hängt miteinander zusammen, wirkt aufeinander und kann auch als  jeweiliger Teilaspekt nur in wechselseitigen Verständnisprozessen tiefer fruchtbar gemacht werden.
Gleich dem hermeneutischen Zirkel geht der Mensch zunächst mit seinem jeweiligen Vorverständnis an die Betrachtung der Welt, um dieses dann durch Infragestellung oder Revidierung weiterzuentwickeln.

Dekodierung

Mein Ziel in der Architektur wie auch in den  Installationen ist es, diesen Prozess mit Codierungen anzuregen. So wurden zum Beispiel in der Ausstellung Weltbilder Alltagsgegenstände ihrem Sinnzusammenhang der Funktionalität entrissen. Die Irritation des Sinnsuchenden kann dabei gleichzeitig den Blick befreien und den Betrachter in Begegnung mit sich selbst bringen.
Auch bei der Installation auf dem ehemaligen Reichsparteitagsgelände wird beim Betrachter das Verlangen erzeugt, den Code zu entschlüsseln und sich die Eingebundenheit von Geschichte in die Gegenwart bewusst zu machen. Durch ein aktives „Betreten“ der Installation wird dieser Prozess für ihn sinnlich an eigenem Leib erfahrbar.

Begreifen, was ergreift

Es geht  mir darum gleich dem spiralenartigen Verstehensprozess im hermeneutischen Zirkel, dass der Betrachter den eigenen Standpunkt stets neu definiert. Indem Neues auf der Grundlage des Alten geschaffen wird, gibt dabei es eine gewisse Kontinuität der Historie bei einem gleichzeitig in die Zukunft geöffneten Prozess der Auseinandersetzung. 
Der Germanist Emil Staiger betonte in seiner Hermeneutik, dass die Grundlage jeder Interpretation die Ergriffenheit des Lesers ist („Das wir begreifen, was uns ergreift“) und ist dabei neuesten neurobiologischen Erkenntnissen sehr nah. Was in der Hermeneutik für Texte gilt, lässt sich problemlos auf den Bereich der Architektur und Kunst übertragen. Nur wenn der Rezipient aktiv am Prozesse der Wahrnehmung beteiligt ist, gibt es eine lebendige Weiterentwicklung. Alles andere wirkt tot und leblos.