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RENNER HAINKE WIRTH ZIRN ARCHITEKTEN

Pestalozzi Quartier in Hamburg St. Pauli

Wohnen und Arbeiten zwischen Großer und Kleiner Freiheit
Foto: Jochen Stüber
Foto: Jochen Stüber
Ort
Hamburg
Gebäudekategorie
Geschosswohnungsbau
Bauvorhaben
Neubau
Jahr der Fertigstellung
2015
Material Fassade
Mauerwerk
Architektenpreis
WohnbauPreis Hamburg 2017 - 1. Preis
BDA Hamburg Architekturpreis 2016 - 3.Preis
Bauherr: Dr. Gerhard Clausen

Auf historischem Grund, zwischen der Großen und der Kleinen Freiheit, mitten in Hamburg St. Pauli gelegen, wurde 2006 die u.a. von Gustav Oelsner erbaute Grundschule von Hamburg St.Pauli aufgegeben und 2007 ein städtebaulicher Realisierungswettbewerb für die Neubebauung ausgeschrieben. Zu wenig Grundschulkinder und der Bedarf an familiengerechtem Wohnungsbau in St. Pauli waren der Grund für den städtebaulichen Wettbewerb. Der Bezirk und die politischen Parteien waren sich zum damaligen Zeitpunkt noch nicht einig über die angestrebte Dichte für das neue Quartier. Es galt die Frage zu beantworten, welcher städtebauliche Typologie sich die Neubebauung anpasst, da das Schulgelände an der Schnittstelle zwischen den Hochhausscheiben der 70-iger Jahre, den SAGA Neubauten der Jahrtausendwende und den gewachsenen städtischen Strukturen des historischen Quartiers angrenzt.
Bis zum Rückzug der Dänen aus Holstein 1864,  hatten entlang der Großen Freiheit noch bis zu 40 Kirchenhäuser gestanden, in denen jeder seine Religionsfreiheit leben konnte. Entsprechend alte Gebäude und Grundmauern waren vor Ort zu finden und zu berücksichtigen. In den benachbarten eingeschossigen Hinterhäusern entlang der Paul-Rosenstraße hatten 1960 noch die Beatles gewohnt als Sie in der Großen Freiheit 36 und im Indra ihre ersten Hamburg Konzerte feierten. 2006 hatte das Rotlichtmilieu  schon Teile des ansonsten bürgerlichen Wohnquartiers nördlich der Simon-von-Utrecht Straße übernommen und die unsichtbare Grenze zwischen dem Vergnügungsviertel und dem bürgerlichen Wohnquartier überschritten.

Aufgabe im Wettbewerb war es, das ehemalige Grundschulareal unter Berücksichtigung des denkmalgeschützten Schulgebäudes, den benachbarten denkmalsgeschützten Mennoniten-Häusern und des sehr wertvollen Baumbestand mit ca. 100 Wohneinheiten in Form von Stadt-, Reihen- sowie Geschossbauten für den Familiengerechten Wohnungsbau zu verdichten.

Den städtebaulichen Wettbewerb konnte RENNER HAINKE WIRTH ZIRN ARCHITEKTEN aus Hamburg für sich entscheiden. Vom Bezirk Hamburg Mitte wurden die Architekten mit der Erarbeitung eines Funktionsplans beauftragt, der Grundlage für den anschließenden B-Plan war.

WOHNEN AUF ST.PAULI
Der einmalige Mix von Hafen, Kultur und urbanen Wohnen in St. Pauli ist über die Stadtgrenzen hinaus bekannt. Die bunt gemischte, multikulturelle Bevölkerung hat eine hohe Dichte und heterogene Bevölkerungsstruktur. St. Pauli ist der Stadtteil, an dem man Toleranz finden und in dem man trotz städtischer Härte friedlich neben- und miteinander leben kann. Die Energie beruht auf dem Streben der Menschen, individuell leben zu wollen.

- St.Pauli lebt 24 Stunden am Tag!

Der Entwurf von RENNER HAINKE WIRTH ZIRN ARCHITEKTEN hat sich diese Vielfalt zum Konzept gemacht. Die städtebauliche Schichtung der alten Schulbebauung, der wertvolle Baumbestand, gemischt mit der Neubebauung und einer größtmöglichen Wohn- und Freiraumqualität gestalten den städtischen Raum. Die im Block vereinzelten Bestandsgebäude haben Solitärcharakter, die ergänzende Neubebauung nimmt die ortsspezifische Typologie auf und führt den vorhandenen Charakter weiter. Das familiäre Wohnen findet im Stadthaus im Geschosswohnungsbau aber auch in der Baugruppe im Bestand statt. Ein Gebäude mit geförderten Wohnungen für Senioren, überall im Quartier verteilte, kleine gewerbliche Einheiten durchmischen die städtische Struktur.

TASCHENPARKS
Der Entwurf reagiert dabei individuell auf die unterschiedlichsten Straßenränder. Die Blockränder sind grundsätzlich geschlossener gehalten, jedoch ist ein paritätisch ausgewogenes Kräfteverhältnis zwischen Masse und Freiraum gegeben. In Ost-Westrichtung ist das Quartier porös, Lücken mit Treppen, Mauern und kleinen Plätzen öffnen das Quartier fußläufig zur Kleinen bzw. Großen Freiheit. Es entstehen unterschiedliche städtische Räume, die von den Platzrändern nach innen an Individualität zunehmen und eine Vielzahl an Nutzungen erlauben.

WOHNTYPOLOGIEEN
Parallel zur Paul-Roosen-Straße entwickelt sich in Ost-Westrichtung, zwischen Kleiner- und Großer Freiheit, ein 3-5 geschossiger Stadthaustyp für den familiengerechten Wohnungsbau. In Form von zwei Gruppen mit 6 bzw. 9 Wohneinheiten setzt sich die Bebauung zum öffentlichen Raum mit einem angehobenen Sockelgeschoss ab. Auf dem Dach der Gemeinschaftsgarage haben alle Stadthäuser private Gärten, die sich mit einer ca. 3 Meter hohen Mauer zu den öffentlichen Durchgangsbereichen abgrenzen. Die Stadthäuser sind als Einfamilienhäuser mit einer optional möglichen, gewerblichen Nutzung im Erdgeschoss zur Großen Freiheit hin und in Teilen als Split-Level Typen geplant. Die Wohnbebauung nimmt durch die interne Höhenentwicklung Bezug zur angrenzenden Hinterhausbebauung der Paul-Rosen-Straße auf. Die offenen Tiefgaragen haben einen internen Zugang zu den einzelnen Wohneinheiten und werden von den jeweils flankierenden Straßen mittels Toranlagen direkt erschlossen.

Der stark perforierte Blockrand in Massivbauweise entlang der Großen Freiheit gestaltet durch seine angehobenen Eingangsbereiche und Platzsituationen ein heterogenes, aber geschlossenes Straßenbild, das sich von Süden nach Norden immer weiter öffnet. Die Wohnbebauung im direkten Anschluss an das AIDA Entertainmenthaus zur Simon-von-Utrecht-Straße und die Umnutzung der

Großen Freiheit 63 zu einem Bürohaus mit Wohnung und der Großen Freiheit 65 zum Geschosswohnungsbau, erzeugen einen kleinen intimen Wohnhof mit privaten Gärten im Erdgeschoss und neu angeordneten Balkonen für die Obergeschosse.
Die offene Zugangssituation kann mittels eines Tores abgegrenzt werden, das in den Nachtstunden infolge der direkten Nachbarschaft zu den Hamburger Musikclubs Indra und Grünspan auch verschlossen werden kann. Die dem Wohnen zugeordneten Pkw Stellplätze befinden sich in einer Tiefgarage unter dem angehobenen Wohnhof.

Entstanden ist ein Stück urbane Stadt, die sich mit den Vielfältigkeit der Nachbarschaft gut versteht, denn Sie ist von Anfang an „geliebt“ worden – und dass braucht gute Architektur. Nicht umsonst wurde das Quartier am 9. November 2017 mit dem 1. WohnbauPreis Hamburg 2017 ausgezeichnet.