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Baumschlager Eberle Architekten

Pariser Stadthaus verbindet Zukunft und Vergangenheit

Lebensweise an der Place Félix Eboué neu definiert
Cyrille Weiner
Cyrille Weiner
Ort
Paris
Gebäudekategorie
Geschosswohnungsbau
Bauvorhaben
Neubau
Jahr der Fertigstellung
2021
Material Fassade
Mauerwerk
Die Ziele
Der große Platz im Osten von Paris ist geprägt von der Dynamik des städtischen Lebens, den markanten Häusern des späten 19. Jahrhunderts und einigen Neubauten: Baumschlager Eberle Architekten erhielten nach einem Wettbewerb den Auftrag an der Place Félix Eboué eine Baulücke zu schließen. Eine vordergründig einfache Herausforderung, wenn man sich darauf beschränkt, die Vorstellungen vom Leben, Arbeiten und Wohnen der Belle Époque in die Gegenwart zu übertragen. Die Architektur von Baumschlager Eberle Architekten will jedoch mehr, nämlich einen verbindenden Rahmen für das Zusammenleben der Menschen von heute mit Potential für die Zukunft schaffen, ohne die Brücken zur Vergangenheit abzubrechen.
Das innovative Planungskonzept ist ebenso klar wie komplex: Mehr Licht, mehr Ausblick und mehr Grün sollen in den gebauten Kontext eingebracht werden. Das Positive der Pariser Gründerzeit gilt es fortzuschreiben, dem neuen Gebäude soll eine unverwechselbare Identität verleihen.

Die Umsetzung
Den Auftrag für das Projekt erhielten Baumschlager Eberle Architekten nach einem Wettbewerb vom kulturell engagierten Auftraggeber Emerige, der hier mit dem sozialen Wohnbauträger Paris Habitat und dem privaten Immobilieninvestor Inovalis aus Kanada zusammenarbeitet. Diese Kooperation spiegelt sich auch im Raumprogramm für die gewünschte Mischnutzung wider.
An der Place Félix Eboué befinden sich 104 Wohnungen – 57 davon sind freifinanziert, 47 gefördert - wie auch Geschäfte mit insgesamt 624 Quadratmetern Fläche. Das Haus ist also nicht nur ein privates Refugium, es ist auch halböffentlicher Raum. Auf diese Weise entsteht eine urbane Lebendigkeit, die charakteristisch für das Zentrum von Paris ist. Baumschlager Eberle Architekten setzen dazu noch einen Akzent in der Tradition französischer Architektur: Vom Straßenraum zum grünen Innenhof führt eine zweigeschossige Passage, sodass die strikte Trennung zwischen Stadt und Privatheit aufgehoben wird.

Der Grünraum ist für Passanten sichtbar, wird zum Teil des städtischen Lebens und bringt den Bewohner*innen eine außergewöhnliche Lebensqualität in zentraler Stadtlage, die sich in Zahlen messen lässt. Mehr als ein Drittel der Grundstückfläche von 1.770 Quadratmetern sind für den Innenhof freigehalten. Mehr Sonne, Ausblick und Vegetation machen aus dem Innenhof einen gleichwertigen Bereich innerhalb der gesamten Anlage.

„Es liegt in unserer Verantwortung als Planende sorgsam mit dem Vorhandenen umzugehen und etwas Neues, etwas Schönes zu schaffen“, erklärt dazu Anne Speicher, Geschäftsführerin des Pariser Büros von Baumschlager Eberle Architekten. Diese Haltung spiegelt sich in der Gliederung des Wohnraumes unmittelbar wider. Die Wohnungen in den Regelgeschoßen bieten den künftigen Mieter*innen zwei Wohlfühl-Varianten. Ein Teil ist auf den Innenhof ausgerichtet, der – ähnlich einem klassischen Amphitheater - mit einer wellenförmigen Treppenanlage aufwarten kann. Für Menschen mit mehr Bezug zum urbanen Leben gibt es auch Wohnungen mit dem Panorama der Place Félix Eboué. Einigen sind auch Loggien als private Freiräume und Schallabsorber vorgelagert. Zwei exklusive Maisonnette-Wohnungen samt Terrassen in der Zone über den Regelgeschoßen ergänzen das Wohnungsangebot, welches zum größeren Teil 3 bis 4 Zimmer pro Einheit umfasst.
Abgestimmt auf die Lebenspraxis der Gegenwart ist die Organisation der Wohnungen. Das klassische Wohnzimmer mittlerweile zum Fernsehraum mutiert - hat ausgedient, es wird mit dem Speisezimmer und der Küche zusammengelegt. Diese Verbindung von Wohnen und Kochen lässt Gemeinschaft entstehen und ist noch dazu platzsparend. Der sorgsame Umgang mit dem Raum hat nicht nur wirtschaftliche Gründe, er hat sehr viel mit dem Einsatz von Ressourcen zu tun – in ökologischer und soziologischer Hinsicht.

Die Merkmale
Das Haus ist ein Orientierungspunkt im städtischen Geschehen. Die elegante Kalkputzfassade als große, gegliederte Fläche mit ihrer hellen Farbe reflektiert weithin sichtbar das Tageslicht. Die messingfarben eloxierten Fensterläden und die schattenden Gesimse setzen im Detail den Dialog von Farben, Licht und Schatten fort. Auch in seiner markanten Höhenentwicklung fällt das Gebäude durch seinen skulpturalen Charakter auf. Es galt hier den Übergang zwischen dem höheren, modernistischen Wohnbau an der rechten Hausseite und dem niedrigen Belle-Époque-Gebäude zu formulieren. Über den acht Normalgeschossen wird das neue Haus rechts turmähnlich bis auf die Dachlinie fortgesetzt, während von einem Freiraum getrennt ein gestaffelter, messingfarbenen Pavillon die Höhe des links anschließenden Belle-Époque-Gebäudes erreicht.
Es findet also, wie man wunderschön auf Französisch sagt, eine reconciliation statt, eine Versöhnung zwischen Altem und Neuem. Kontextualität und Individualität werden mit der neuen Architektur an der Place Félix Eboué umgesetzt. Ihr Alleinstellungsmerkmal ist die Verbindung des Skulpturalen mit dem Dynamischen. Dazu tragen abgerundete Ecken und horizontal verlaufende Gesimse bei, welche die Bewegung im städtischen Raum reflektieren. Die Signifikanz des neuen Hauses von Baumschlager Eberle Architekten wird durch eine bewusste Individualität akzentuiert. Während die Häuser des 19. Jahrhunderts meist vertikal gegliedert sind, ist der Neubau ganz klar horizontal geordnet. Dennoch findet sich viel Gemeinsames: Der monolithische Charakter des Hauses, seine Strukturiertheit der Fassaden und die qualitätvollen Oberflächen vermitteln eine essentielle Botschaft: Hier wurde ein Stück Stadtkultur entwickelt, das in Konzeption und Materialisierung mehr als hundert Jahre Bestand haben wird.