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Jäcklein Architekten

Das Dienstleistungszentrum im Umfeld der „Alten Schule“ Iphofen - der Städtebau

Ralf Dieter Bischoff, Nürnberg
Ralf Dieter Bischoff, Nürnberg
Ort
Iphofen
Jahr der Fertigstellung
2015
Stadtbaukunst als öffentliche Daseinsvorsorge
Das Dienstleistungszentrum im Umfeld der „Alten Schule“ Iphofen


Spitzweg-Idyllen auf Schritt und Tritt, sprichwörtliche Weinseligkeit in Fraktur an beinahe jede Hauswand gepinselt und das alles auf Gips gebaut. Wo heute am Fuße des Schwanbergs die Gips-Metropole Iphofen malerisch in den Weingärten Kalb oder Kronsberg lagert, war vor 200 Millionen Jahren Lagune pur. Das Wasser ist gegangen, der Gips geblieben und nach dem Zweiten Weltkrieg sind die Knaufs gekommen, um daraus Baustoffe für bald die ganze Welt zu gewinnen. Ihr Gipswerk steht an der Bahnlinie Nürnberg-Würzburg mächtig hingewürfelt - wie von einem Gulliver auf Reisen zufällig verloren. Und doch, die Industriebauten, die Iphofens Wohlstand wie ein großes „Gips mir!“ in die Landschaft buchstabieren, bedrängen das von mittelalterlicher und barocker Baukultur geprägte fränkische Weinstädtchen kaum. Iphofen entwickelte sich nämlich von jeher im Schutz von Graben, Wall und pittoresker Stadtmauer.

Architektonischer Paukenschlag

So hat man die Mordbrenner der Bauernkriege unbeschadet überstanden und den Beton-Brutalismus der architektonischen Nachkriegs-Moderne in den stürmischen Wiederaufbau-Jahrzehnten der Bundesrepublik musste man gar nicht erst näher kennenlernen. Ins Stadtbild Iphofens hatten sich keine nennenswerten Kriegsschäden eingebrannt.
In der Mitte der 90er Jahre des vergangenen Jahrhunderts erwachte die Stadt dann aber doch aus dem Dornröschenschlaf und sie schmückt sich seither mit geläuterter und sachlich-nüchterner Architektur-Moderne.
Im Herbst 2000 öffnete die städtische Vinothek mit Tourist-Information im historischen Mesnerhaus am Kirchplatz und im filigran und elegant hinzugefügten Neubau hinter dem barocken Rathaus-Palais von Joseph Greising. Ein kleines Ensemble aus Alt und Neu, das zum architektonischen Paukenschlag geriet, dem eine Welle von Sanierungs- und Neubaumaßnahmen im Stadtzentrum folgen sollte, die zuerst von der Kommune mutig vorangetrieben, wenig später aber auch schon von privaten Bauherren beherzt geritten wurde.

Lebensqualität steigern

In Iphofen gehören qualitätvolle Architektur und zukunftsorientierte Stadtbaukunst zur öffentlichen und privaten Daseinsvorsorge. Die Kommune kann sich Wettbewerbe leisten und sie hat gelernt, gelassen auf den jeweils besten Entwurf zu warten.
Ein großer Wurf war schließlich auch gefordert, als die Überplanung der letzten zentralen Innenstadtparzelle anstand. Im Schatten der spätgotischen Stadtpfarrkirche St. Veit und in unmittelbarer Nachbarschaft zum spätbarocken Rathaus harrten das historische Schulhaus und ein paar gebrechlich gewordene Wohnbauten aus dem 19. und 20. Jahrhundert der Erneuerung oder des Abbruchs. Die komplexe Bauaufgabe sah aber nicht nur vor, die Alte Schule zu sanieren und für einen modernen Verwaltungsbetrieb zu ertüchtigen, es sollte zudem die Tourist-Information aus den etwas beengten Verhältnissen im Mesnerhaus aus- und ins sanierte Verwaltungsgebäude oder einen Neubau einziehen. Ein höchsten konservatorischen Ansprüchen genügendes Stadtarchiv war zu errichten, eine Stadtbibliothek und eben auch ein modernes Dienstleistungszentrum, das Ladenlokale, Buch-Café und hochwertige Büroflächen, vor allem aber neues Leben ins historische Innenstadtzentrum bringen sollte. Das alles in einer Kommune, in der die Bürger und die politische Führung vom privaten Bauherren wie von der öffentlichen Hand erwarten, dass städtebauliche Maßnahmen bürgernah und transparent entwickelt und entschieden werden und sich nach ihrer Realisierung als wertig und nachhaltig erweisen. Die Aufenthaltsqualität in den Herzkammern der Stadt noch weiter zu steigern, das Zentrum stärken und die Liebe zur Heimatstadt neuerlich entdecken helfen: das mag im Zeitalter virtueller Welten anachronistisch anmuten, ist aber noch allemal das, was die moderne Zivilgesellschaft sich für ihre Kommunen wünscht. Lebensqualität durch Stadtbaukunst fördern, hat das Gerhard Matzig (SZ) in einem wirtschafts- und gesellschaftskritischen Kommentar unter dem Titel „Stadt ohne Herz“ auch schon mal massiv gefordert.

Heterogenes Baufeld

Zwischen Kirchplatz im Norden, Rathaus mit Vorplatz Osten, der Geräthenstraße im Süden und der Pfarrgasse im Westen erstreckt sich, eingegrenzt von den zentralen Gebäuden der Stadt, also von Pfarrkirche, historischem Rathaus und ehemaligem Schulhaus, das Baufeld, für dessen komplette Überplanung eine vom Architekturbüro Reinhold Jäcklein (Volkach) und dem Architekturbüro Böhm + Kuhn (Iphofen) gebildete Arbeitsgemeinschaft schließlich 2008 nach einem sogenannten VOF-Verfahren den Auftrag erhalten hat.
Das von Grund auf sanierte städtische Schulhaus von 1878/79, in das die Stadtverwaltung Iphofens längst wieder eingezogen ist, wird jetzt an seiner Westflanke von einem schlanken Putz-Neubau begleitet, der die Stadtbibliothek aufnimmt. Daran schließen sich nach Norden hin das erhaltene und in Teilen wiederhergestellte, mittelalterliche Torhaus und die gotische Michaelskapelle mit Beinhaus an. Die beiden mittelalterlichen Bauwerke wurden freigestellt und entfalten nun wieder eine selbstbewusst platzgreifende Eigenständigkeit, die sie davor, als sie noch wie Kulissenbauten in eine reichlich heterogen zusammengefügte Gebäudeansammlung gezwängt waren, nicht behaupten konnten.
Man könnte schier meinen, die Architekten hätten das Herz der historischen Stadt von belastenden An- und Ablagerungen befreit. In gemessenem Abstand von Michaelskapelle und Pfarrkirche schließt der Neubau des Dienstleistungszentrums an. Er fungiert als Kopfbau des aus altem Schulhaus, neuer Tourist-Information und Dienstleistungszentrum gebildeten Gebäudeensembles, das angesichts des mächtigen Rathauses nicht laut tut, aber eindrucksvoll zeigen kann, was präzise geplante und kreativ umgesetzte Stadtbaukunst im 21. Jahrhundert zu leisten vermag.
Platz und Plätze für Flaneure
Auch bei der Anbindung der Freiflächen an die Gebäudekanten und Gebäudeflanken ist nichts dem Zufall überlassen. Alle Innen- und Außenbereiche sind behindertengerecht erschlossen, und doch wagen die Architekten mit dem beinahe vier Meter zählenden Geländeversprung ein reizvolles Spiel von Vor und Zurück oder Auf und Ab. Zwischen dem Neubau und der Friedhofskapelle St. Michael steigt eine Treppe zum Freisitz vor der neuen Buchhandlung auf. Zu diesem Freisitz gelangt man aber auch über eine großzügige Treppenanlage, die im Rücken des ehemaligen Torhauses von der Stadtbibliothek her zu einem intimen Platz südlich der Michaelskapelle aufsteigt. Unter diesem Platz wurden die im Rahmen des Teilabbruchs geborgenen historischen Kellergewölbe erhalten. Sie sind nun atmosphärisch dichter Raum für ein Fotografen-Studio, das zu ebener Erde unterhalb der Michaelskapelle von der Pfarrgasse aus erschlossen ist. Zum Fotografen-Studio benachbart ist das hochmoderne Stadtarchiv eingerichtet.
Auch zwischen das historische Torhaus, das saniert und freigestellt wurde, und die neue Bibliothek, die den Innenhof zwischen Westfassade des Verwaltungsgebäudes und Pfarrgasse schließt, ist ein Treppenaufgang gelegt, der die historisch gewachsene Gassenstruktur in der Iphöfer Altstadt in Erinnerung hält, der aber auch die bewusst eingebrachte Zäsur zwischen Torhaus und Bibliotheksgebäude betont.

Textauszug I Rüdiger Klein

Bauherr
Stadt Iphofen

Nutzungen
Alte Schule:
Stadtverwaltung Iphofen und Verwaltungsgemeinschaft,
Sockelgeschoss alte Schule Südseite:
Friseur, Metzger, Schuhmacher
Gewölbekeller bei Kirchplatz:
Fotoatelier
Neubau Pfarrgasse:
Bibliothek
Torhaus:
Weinverkauf (privat)
Unterkellerung Platz und Bibliothek:
Historisches Archiv,
Verbindungsbau:
Touristinfo, OG: Büros
Neubau Kirchplatz:
Buchladen, Kosmetikstudio
OG: Büros

Nutzfläche
2.870 m²

Bruttorauminhalt
17.840 m³

Planung
Arbeitsgemeinschaft Böhm + Kuhn Architekten, Architektur Büro Jäcklein
gemeinsam gewonnenes VOF – Verfahren mit Vorkonzept: Arbeitsgemeinschaft Böhm + Kuhn Architekten, Architektur Büro Jäcklein
Vorentwurf alte Schule: Büro Böhm und Kuhn
Vorentwurf restliche Gebäude, Einrichtung der städtische genutzten Gebäude und Überarbeitung alte Schule, Freianlagen: Architektur Büro Jäcklein
Entwurf bis Ausführungsplanung Gebäude, Einrichtung, Freianlagen: Architektur Büro Jäcklein
Ausschreibung, Bauleitung Gebäude, Böhm + Kuhn Architekten
Ausschreibung, Bauleitung Freianlagen, Einrichtung: Architektur Büro Jäcklein (Freianlagen mii Auktor Ingenieure)

Fachplanung.
Sicherheitskoordination: Böhm und Kuhn Architekten
Energiekonzept: Architektur Büro Jäcklein
Glasfassaden: Christopher Rathmann
HLS: Rosel Ingenieure
Elektrotechnik: Ing. Durner
Tragwerksplanung: WSP Ingenieure
Brandschutzkonzept: Dr Hagen Ing.

Bearbeitung im Architekturbüro Jäcklein
Stefan Schrauth
Julia Roth
Sebastian Sterk

Bauzeit
Beginn Abbruch: Oktober 2012
Baubeginn: Februar 2013
Fertigstellung: Mai 2015

Kunst
Reiner John, Althegnenberg

Fotos
Ralf Dieter Bischoff, Nürnberg
Gerhard Hagen, Bamberg