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marte.marte architekten

Dokumentationszentrum der Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung

Grundsanierung des Deutschlandhauses in Berlin
Roland Horn
Roland Horn
Ort
Berlin-Kreuzberg
Gebäudekategorie
Museen, Galerien
Bauvorhaben
Sanierung
Jahr der Fertigstellung
2020
Material Fassade
Putz
Schon während der Wettbewerbsphase war uns klar, dass sowohl der Ort als auch die Bauaufgabe einzigartig waren. Noch immer sind beim Baufeld die baulichen Wunden des Zweiten Weltkriegs im Schwarzplan ablesbar, noch immer gibt es große Freiflächen zwischen der schütteren Bebauung um den Anhalter Bahnhof. Die ehemalige städtebauliche Ordnung ist nur mehr zu erahnen, hingegen bilden Europahaus und Deutschlandhaus seit den 1920er Jahren ein markantes Ensemble. Die Bombeneinschläge zerstörten zwar die ursprüngliche Gebäudestruktur des Letzteren, zügig wurden im Wiederaufbau der Zwischenkriegszeit jedoch die Hauptfassaden rekonstruiert, wobei sich Funktion und Grundrisse maßgeblich änderten.

Ergänzen, weiterdenken, weiterbauen

Unter diesem Motto näherten wir uns der Aufgabe. Das zuletzt mehrheitlich als Bürogebäude funktionierende Deutschlandhaus galt es, in eine lebendige Begegnungs- und Informationsstätte umzuwandeln. Die neue Funktion konnte spannender nicht sein: Die Bundesstiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung verlangte nach großen Hallen und komplexen Raumbezügen, die Mantelnutzung im historischen Erdgeschoss-Interieur sollte zur Wiederbelebung des öffentlichen Raumes beitragen.

Räumlicher Befreiungsschlag

Im Gegensatz zu den Mitbewerbern setzten wir auf eine Verknüpfung mit dem Umraum durch wirkmächtige Blickachsen und eine radikale Neuformulierung der Gebäudestruktur: Sanierung und Restrukturierung des straßenbegleitenden Winkels, Abbruch aller maroden Gebäudeteile, Neubau eines gartenseitigen Quadranten. All das führte zu einem räumlichen Befreiungsschlag, der ein funktionenverbindendes Foyer und großzügige Ausstellungshallen ermöglichte. Licht- und Wegeführung sind ausgeklügelt aufeinander abgestimmt, BesucherInnen werden wie in einem gut organisierten Stadtraum geleitet. Dabei spielen die monumentale Treppenanlage und die konstruktiv ausgereizte Wendeltreppe eine wesentliche Rolle – sie geben Orientierung in der skulptural-räumlichen Betonfigur. In deren räumlicher Komplexität und Größe spiegelt sich nicht nur die Ohnmacht der Flüchtenden – als Mensch fühlt man sich klein darin – sondern auch eine Geste der Versöhnung, und zwar überall dort, wo der Raum durch seine vielen Blickachsen mögliche Verbindungen zur Außenwelt herstellt.

Materialisierte Konstruktion und Atmosphäre

Wir haben auch bei diesem Projekt Beton gewählt, da er für uns der optimale Werkstoff für plastisches Formen ist. Dort setzen unsere Entwürfe meistens an – wir lieben es, Funktionen in räumliche Abstraktion zu gießen, ihnen einen gestischen, körperhaften Ausdruck abzuringen. Kein anderes Material erlaubt es, mit solch geringen Deckenstärken derartige Spannweiten zu überbrücken, wie sie für unser Konzept hier maßgeblich waren. Die Räume im neuen Quadranten des Deutschlandhauses beziehen Spannung und Anmutung aus ihren Proportionen und Dimensionen und natürlich aus ihren inneren und äußeren Verknüpfungen. Die perfekten Betonoberflächen zementieren förmlich diese angestrebten Qualitäten. Unserer Meinung nach erzeugen sie mit den neuen Holzoberflächen im Bürotrakt und den historischen Täfern der revitalisierten Geschäfts- und Lokalbereiche im Sockelgeschoss ein wohltuendes Zusammenspiel sich ergänzender Raumatmosphären.