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Behnisch Architekten

Wohnen im Spinnereipark

© Behnisch Architekten, Fotos: David Matthiessen
© Behnisch Architekten, Fotos: David Matthiessen
Ort
Kolbermoor
Gebäudekategorie
Geschosswohnungsbau
Bauvorhaben
Neubau
Jahr der Fertigstellung
2019
Material Fassade
Holz
In Kolbermoor wurden die denkmalgeschützten, historischen Bauten der Alten Spinnerei in den vergangenen Jahren behutsam saniert und revitalisiert. Zusammen mit den bereits fertiggestellten Erweiterungen und neuen Nutzungen wie Quest Forum, Lofthäusern und Wohnen am Rosengarten ist ein attraktiver Anziehungspunkt im Zentrum der Stadt entstanden. Die Symbiose aus Altem und Neuem bietet mit einer modernen, zukunftsfähigen Bebauungsstruktur für eine gemischte Nutzung aus Wohnen, Gewerbe, Gastronomie und Einrichtungen für die Naherholung ein lebendiges Quartier zum Leben und Arbeiten.

Historie des Spinnereiparks

Die Baumwollspinnerei hat mit ihren verschiedenen industriellen Anlagen wesentlich das Wachstum des Ortes Kolbermoor begründet. Im Verlauf der Zeit entstand ein von den Eigentümern der Fabrik gestalteter, privater Park mit einem künstlich angelegten Spinnereiweiher, dessen Aushub topografisch zum sogenannten Schneckenberg geformt wurde. Namensstiftend dafür waren die spiralförmigen Wege, die um den Weiher mit Baumgruppen im Stil eines englischen Landschaftsparks angelegt sind. Dazu gehörte auch eine Sammlung exotischer Bäume, während der restliche, maßgeblich aus einem Fichtenwald bestehende Teil unberührt blieb. Im Zuge der Wiederinstandsetzung und Umnutzung der alten Industrieanlagen wurde auch die Entwicklung des Parks westlich des Kesselhauses angestoßen, der inzwischen von der Bebauung Kolbermoors eingerahmt ist.

Neuer Stadtbaustein im Spinnereiareal
Der Spinnereipark schließt im Westen an die historischen Bestandsgebäude an und erstreckt sich nördlich des Mangfallkanals bis zur Conradtystraße und zur Bahnlinie Bad Aibling–Rosenheim. Er steht seit der Restaurierung des Areals als vielfältig nutzbares Naherholungsgebiet mit einem Netz an Wegen für Fußgänger und Radfahrer, einem Kinderspielplatz und einer Kapelle nicht nur Bewohnern, sondern auch Besuchern und Passanten zur Verfügung. Für das gesamte Gebiet wurde ein städtebauliches Konzept mit einer Wohnnutzung aus zwei Gebäudetypen entwickelt, das aus fünf so bezeichneten Y-Häusern und vier Conradty-Häusern besteht, die in fünf Bauabschnitten realisiert werden. Sie fügen sich behutsam in die leicht bewegte Topografie der Parklandschaft ein, die zwischen den Gebäuden hindurchgeführt ist und eine Zonierung in private und öffentliche Flächen ermöglicht. Die ost-westlich verlaufende Conradtystraße wurde soweit wie möglich nach Norden zur Bahnlinie hin verlegt, um die nachteiligen Einflüsse des Verkehrslärms auf die Gebäude zu minimieren. Die zwischen Bahn und Straße befindlichen Grundstücke konnten so aus der Umklammerung gelöst und dem Park zugeschlagen werden. Wesentliches Ziel dabei war es, den Baumbestand im Park weitestgehend zu erhalten und für die Mangfall erforderliche Retentionsflächen zu berücksichtigen.

Auch der bauliche Entwurfsansatz der Gebäude im Park folgt diesen Zielen und dem Wunsch, ein vielfältiges Quartier zu schaffen. Durch die vier- bis sechs Geschosse der Y- und Conradty-Häuser ergibt sich eine spielerisch modulierte, zu den Rändern nach Osten und Westen hin abnehmende Höhenentwicklung, die sowohl am Bestand orientiert ist, aber mit den beiden Gebäudetypen auch die unterschiedlichen Anforderungen an ihre räumliche Lage im Spinnereipark berücksichtigt. Während die Y-Häuser sich in die gewachsene Struktur und den Baumbestand des Parks integrieren, bilden die Conradty-Häuser nach Norden den vor Lärm schützenden Rücken. Die Bewohner erreichen die Häuser fußläufig über frei geformte Zugangswege oder natürlich belüftete Tiefgaragen und daran angeschlossene Treppenhäuser, die jeweils ein Gebäudepaar verbinden. Für Besucher sind Stellplätze entlang der Conradtystraße vorgesehen. Dadurch gelingt es, den Park weitgehend vom Verkehr frei zu halten. Im Südwesten des Parks ist die Errichtung einer Fußgängerbrücke über den Mangfallkanal geplant, die eine verkehrsfreie Verbindung zum Freibad schafft.

Zwei Gebäudetypen für optimale Wohnbedingungen: Y- und Conradty-Häuser
Die Y-Häuser verdanken ihren Namen der geometrischen Grundrissform und wurden als Solitäre geplant, um die Qualitäten im Park bestmöglich zu nutzen. Jedes Haus ist so platziert, dass der Baumbestand erhalten werden konnte und sich optimale Blickbeziehungen zu den Alpen, zum Park mit Weiher, zum Seilnetz und zu den historischen Gebäuden der Alten Spinnerei ergeben. Die fünf- bis sechsgeschossigen Baukörper entwickeln sich aus einem massiven Kern, der sich zu den Enden der Y-Arme visuell auflöst und durch die freie und differenzierte Anordnung der Balkone eine Verzahnung mit der Landschaft erreicht. Die Grundrissform ermöglicht jeder Wohnung eine dreiseitige natürliche Belichtung und höchstmögliche Flexibilität, um der individuellen Grundrissgestaltung und der Besonnung Rechnung zu tragen. Als Erweiterung des Wohnbereichs schieben sich die Balkone in jedem Geschoss nach außen, bieten mit raumhohen Fenstern zusätzliche private Freiräume und erlauben so ein „Wohnen in der Natur“. Die Schlafbereiche nach Norden und Osten nutzen das indirekte Licht, während Küche und Arbeitszimmer nach Süden und Westen zur Tages- und Abendsonne orientiert sind. Die Anzahl, Größe und genaue Lage der einzelnen Räume sind entsprechend den Wünschen der Nutzer gestaltet.

Die vier- bis fünfgeschossigen Conradty-Häuser, benannt nach der nördlich verlaufenden Zufahrtsstraße, schützen die Anlage zur Straße und Bahntrasse gegen Lärm. Versetzte Gebäudevolumina ergeben einen angenehmen Maßstab und strukturieren spielerisch mit ihrer freien, polygonalen Anordnung den Straßenraum. Eingänge und Zufahrten sind mit weit auskragenden Vordächern akzentuiert. Die Wohnungen werden über den an der Nordseite befindlichen, großzügigen Treppenraum mit Bezug nach Außen erschlossen, der den Bewohnern einen einladenden Ort der Begegnung ermöglicht. Die zum Park hin orientierten Gebäudeseiten mit den Wohn- und Schlafräumen öffnen sich nach Süden über verglaste, versetzt angeordnete Terrassen und Balkone. Vielfältige Blickbeziehungen in den Park, die Berge und die Umgebung wurden geschickt bei der Anordnung der Öffnungen genutzt. Dabei steuern die geschoss- bzw. brüstungshohen Bänder der Fassaden und Balkone mit einer Holzverkleidung in unterschiedlichen Breiten den Grad der Durchsichtigkeit, um dem Bedürfnis nach Privatsphäre zu entsprechen. Für eine gute Proportionierung sind die obersten Geschosse zurückversetzt und erhalten eine dunkle, leicht reflektierende Fassade mit einer frei auskragenden, schwebenden Dachkante. Mit der feinen Baukörpergliederung entsteht ein weicher Abschluss und eine gute Einbindung in den Park. Die Fertigstellung der Conradty-Häuser wird in den weiteren Bauabschnitten bis ca. 2025 erfolgen.

Markante Fassaden mit situationsbezogenen Qualitäten
Charakteristisches Merkmal der Fassade der Y-Häuser sind die prägnanten horizontalen Bänder der Balkonbrüstungen mit den offenen, verglasten Bereichen im Wechsel mit der eher geschlossenen, zum Kern orientierten Lochfassade. Sie ist mit einer vorvergrauten Holzschalung verkleidet und zu den privaten Räumen mit frei angeordneten, verschieden großen quadratischen Holzfenstern gegliedert. Zu den Enden hin lösen sich die Gebäudeflügel auf. Die großzügige Pfosten-Riegel-Glasfassade reflektiert das umgebende Blätterwerk der Bäume, während die weißen an- und absteigenden Brüstungen den Gebäuden eine bewegte Erscheinung verleihen. Weit ausladende, zueinander versetzte Balkone und Terrassen bieten den hier befindlichen Wohn- und Essbereichen vielfältige Ausblicke auf die Umgebung. Es entsteht ein Wechselspiel von offenen und geschlossenen sowie sonnigen und schattigen Bereichen.

Materialität und Farbe
Die von der Natur, den alten Bäumen, den Wiesen und Sträuchern geprägte Umgebung bildet einen sehr besonderen Rahmen für eine Bebauung, die sich weder in den Vordergrund drängen noch verstecken möchte, sondern sich als Ergänzung des natürlich Gewachsen versteht. Materialien, Farbigkeit und Haptik sollen sichtbar und erfahrbar gemacht werden. So ist die Lochfassade mit einer sägerauen Holzschalung aus unterschiedlichen, erdig-braunen und silbernen Farbtönen versehen, die den Oberflächen der Baumstämme eine bauliche Äquivalenz gegenüberstellt und an das changierende Licht- und Schattenspiel der Blätter erinnert. Auch im Innern findet die sich wandelnde Farbpalette des Laubs ihre Entsprechung. Die zentral angeordneten Treppenräume der Conradty-Häuser werden durch gelblich-orange-rötliche Farbtöne in ein warmes Licht getaucht und transportieren die Idee, ein wohnliches Gefühl schon in den gemeinschaftlichen Räumen zu erzeugen. In den Y-Häusern wurden natürlich-warme, grün-gelbe Farbtöne gewählt, die dem Raum eine freundliche Lichtstimmung verleihen.
Viele Elemente wirken durch die ihrer Materialität immanente Farbigkeit. Die Treppenhäuser stellen mit der rückwärtigen, in sägerauer Sichtbetonschalung gehaltenen Wand den Kern des Gebäudes frei und werden mit der in einer Schattennut eingebrachten LED-Beleuchtung in Szene gesetzt. Das warme Eichenholz der Wohnungseingangstüren und Handläufe sowie der lasierte Sichtbeton der Decken kontrastieren mit den weiß verputzen Seitenwänden und dem weiß beschichteten Stahlgeländer. Eine Ausnahme bildet der Boden, der sich mit einem farbigen Anstrich wie ein ausgerollter Teppich von der Fahrspur der Tiefgarage über den Hauseingang sowie Flure und Treppen in alle Geschosse zieht. Die farbige Akzentuierung ist gleichzeitig Leitfunktion und Identifikationsmerkmal, sie steht für die Eigenheit jedes einzelnen Hauses.

Nachhaltigkeit
Zur Energieversorgung des Spinnereiparks ist im nordöstlichen Teil ein Blockheizkraftwerk geplant, das an das örtliche Nahwärmenetz angeschlossen wird und durch Kraft-Wärme-Kopplung auch Elektrizität bereitstellt. Über den guten Primärenergiefaktor hinaus waren weitere Faktoren zu berücksichtigen, um 2015 das DGNB-Vorzertifikat in Gold zu erhalten. Dazu zählen die Vernetzung der Nachbarschaft mit Fuß und Radwegen, die Zugänglichkeit des Parks für die Öffentlichkeit mit gemeinschaftsdienlichen Funktionen, der Ausbau des Retentionsvolumens für Hochwasser sowie Ausgleichs- und Biotopflächen zum Schutz der Flora und Fauna. Gründächer halten das Regenwasser zurück, bevor es über die Fallleitungen in das städtische Entwässerungsnetz gelangt. Die Y-Häuser entsprechen dem KfW 55 Standard, die Conradty-Häuser der aktuellen ENEV.